Spuk auf dem Hörder Kirchhof

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

Wechseln zu: Navigation, Suche
Albert Kindler - die Spinnerin

In einem Fachwerkhäuschen in der Papengasse, nur wenige Schritte von der kleinen Kirche in der Langen Straße entfernt, fand sich an langen Winterabenden jung und Alt in der Spinnstube ein: zum Klönen, zu Liebeständeleien, zum Liedersingen und auch zum Erzählen von allerlei Spukgeschichten.

Da kam einmal die Rede auf den nahen Kirchhof, wo auf einem Grab in manchen Nächten eine weiße Gestalt zu sehen wäre; vielleicht ein Geist, der wegen seiner früheren Sünden keine Ruhe finden könnte. Als man eine Zeitlang ausgiebig darüber geschwatzt hatte, meinte eine Frau: »Jetzt wird's bestimmt niemand mehr wagen, in der Dunkelheit über den Kirchhof zu gehen. « 

Worauf eine der jungen Spinnerinnen, das Söffken, dreist auflachte. »Ha ! Wenn's weiter nichts ist! Ich würde es wagen. Worum sollen wir wetten ?« 

Einige der Männer zogen sogleich ein paar Geldstücke aus der Tasche und warfen sie auf den Tisch. »Das gehört dir, wenn du es wagst«, sagten sie zu Söffken. Man stritt lange in der Spinnstube, ob das junge Ding es tun solle oder nicht. Die Besonnenen mahnten zur Vernunft, die Leichtsinnigen stichelten und spöttelten. Das Söffken aber hielt ihr Spinnrad an, stand auf und erklärte keck: »Ich gehe! Und zum Beweis bring' ich euch einen Zweig von der Heckenrose mit, die hinten an der Kirchhofsmauer steht. « Alsdann ging sie forsch hinaus. Auf dem dunklen Kirchhof sah sie tatsächlich auf einem der Gräber eine weiße Gestalt hocken. Doch das Söffken glaubte nicht an Gespenster, dachte vielmehr, einer der losen Burschen aus der Nachbarschaft wolle ihr einen Streich spielen und habe sich ein weißes Hemd übergezogen, um ihr tüchtig Angst einzujagen.

Aber das Mädchen ließ sich nicht erschrecken. »Sitz' du nur da«, rief Söffken lachend, »und laß dir die Zehen abfrieren. Meinst du, ich wär' bange und liefe weg, damit mich die andern nachher auslachen können?« Ohne das Gespenst zu beachten, ging sie bis zur Kirchhofsmauer und brach einen Zweig von der Heckenrose ab.

Als sie sich wieder umwandte, saß das Gespenst immer noch unbeweglich auf dem Grab. Halt ! dachte Söffken, das Hemd von dem Kerl könnte ich gebrauchen. Und - schwupp - hatte sie es ihm über den Kopf gezogen und rannte damit zurück zur Papengasse in die Spinnstube. Dort empfingen die einen sie mit Beifall und Bewunderung, andere jedoch mit Scheu und Schauder. Das Mädchen aber lachte nur. »Wißt ihr's nun, daß ich mich nicht bange machen lasse ? Guckt mal, was ich auf dem Kirchhof erbeutet habe. « Und sie hielt das weiße Hemd hoch. Im nächsten Augenblick klopfte es ans Fenster. Die Leute in der Stube erschraken. In das furchtsame Schweigen drang eine tiefe, heisere Stimme: »Das Mädchen soll mir mein Hemd wiedergeben. Oder es geht ihm schlecht !« Söffken lachte wiederum hell auf, weil sie glaubte, es sei ein abgekartertes Spiel. Doch als die Stimme die Forderung nochmals und auch zum dritten Mal wiederholte, als etliche Frauen entsetzt aufschrien und selbst die Männer verstört dreinblickten, da überkam auch das Söffken ein kaltes Grausen. Denn sie merkte: es war doch kein Schabernack. Jetzt überfiel auch sie Angst und Bestürzung. Hilflos sahen sich alle an, bis einer sagte: »Wir müssen sofort zum Pastor, der wird einen Rat wissen. « Sie alle hasteten zum Pastorat. Und der Pastor ging mit ihnen zum Kirchhof, wo sie das Gespenst sogleich erblickten. Der Geistliche redete beschwörend auf das geheimnisvolle Wesen ein. Aber das wiederholte nur sein Verlangen: »Das Mädchen soll mir mein Hemd wiedergeben !« »Leg' es ihm aufs Grab«, sagte der Pastor zu Söffken. Nur zögernd ging sie hin. Doch kaum hatte sie das Hemd niedergelegt, da fiel sie tot um.

Von Stunde an hat man das Gespenst auf dem Kirchhof nicht mehr gesehen.

Anmerkungen

Die Kleine Kirche an Langen Str. war die um 1600 erbaute und 1890 abgerissene lutherische Kirche an der Papengasse / Ecke Alfred Trappenstr. Um sie herum lag der Kirchhof, der als Begräbnisstätte genutzt wurde. Das lutherische Pastorat (Pfarrhaus) stand an der Stelle des »Alten Brauhauses» an der Faßstr. 1.

ehemaliger Standort Kleine Kirche (WGS 84: 51.490571° 7.501736°)


Literaturnachweis

  • Gronemann, 137-139


Hier finden Sie: ehemaliger Standort Kleine Kirche (51.490571° Breite, 7.501736° Länge)

Diesen Ort mit weiteren Geodiensten anzeigen. Weitere Sagen aus Dortmund.


Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.

Ruhr2010Logo
Redaktion