Räuberhauptmann Korte und der Schnitter von Haus Laer

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Für Haus Laer mußten noch eine ganze Reihe Kötter Handdienste leisten, zum Beispiel das Gras schneiden. Dann rief morgens um vier Uhr das kleine Glöckchen im Dachreiter auf dem Dach des Hauses Laer zur Arbeit und jeder Kötter schickte seinen besten Schnitter. Der Schnittmeister des Gutes führte diese dann zur Arbeit. Er bestimmte auch das Schnitttempo, das heißt, er schnitt als erster, und alle anderen mußten hinter ihm dasselbe Tempo halten. Nun hatte es sich schon so eingebürgert, daß jeder Kötter seinem Schnitter pro Tag zwei Groschen mitgab für den Schnittmeister. Diese beiden Groschen waren für diesen eine willkommene Nebeneinnahme und bewirkten, daß er beim Tempo ein Auge zudrückte. Wer diese beiden Groschen nicht mitbrachte, mußte ständig unter der strengen Aufsicht des Schnittmeisters arbeiten – und das muß wohl recht aufreibend gewesen sein. Zu diesen Köttern gehörte auch der alte Kuschmann, doch der hatte einen Knecht, der wohl die beiden Groschen nicht dem Schnittmeister gab, sondern sie in die eigene Tasche steckte. Der Erfolg war, daß der Schnittmeister den Knecht sehr drangsalierte und dazu noch dem alten Kuschmann ausrichten ließ, er wolle den Knecht nicht mehr sehen. Kuschmann war ratlos und wußte nicht, was er machen solle, denn er hatte ja nur den einen Knecht, und selbst die Arbeit verrichten, ging mächtig gegen seinen Stolz. Er klagte dies dem Korte, der gerade des Weges kam, und fragte ihn, ob er nicht für ihn dorthin in Tagelohn gehen wolle. Zu Kuschmanns Erleichterung sagte Korte zu und versprach, am anderen Morgen pünktlich auf Haus Laer zu sein. Der Kötter gab ihm noch die üblichen zwei Groschen für den Schnittmeister. Am nächsten Morgen war Korte tatsächlich pünktlich zur Stelle. Als der Schnittmeister das Geld einkassieren wollte, blickte Korte nur ungläubig auf die ausgestreckte Hand und sagte: »Ek glöw, Grit hät ʼn grauten Vueggel! Arbäin un dann noch Geld dotau talen – jo, wo giett et dann dat? Van mie krieget Git nix!« (»Ich glaube, der hat einen Vogel! Arbeiten und dann noch Geld hinzu zahlen – ja, wo gibt es denn so was? Von mir bekommt er nichts!«) Wütend teilte ihm daraufhin der Schnittmeister den Platz direkt hinter ihm zu und wollte ihn so richtig antreiben. Die ersten Bahnen ging das auch so, doch dann vertauschte Korte die Rollen gründlich und in einer Weise, die der in seinem Fach wirklich tüchtige Schnittmeister nicht hatte vorausahnen können: Korte, der direkt hinter ihm schnitt, bestimmte nun das Tempo und trieb den Schnittmeister unbarmherzig vorwärts: »Schneller! Ich werdʻ dir schon helfen, andere Leute zu schikanieren, jetzt zeig du mal, was du hier kannst! Schneller, sonst schneide ich dir die Beine ab!« So trieb er ihn ständig an und saß ihm mit seiner Sense an den Fersen. Der Schnittmeister, der wußte, daß er wegen seiner Schikanen verhaßt war, arbeitete wie ein Rasender. Er hatte Angst, daß Korte seine Drohung wahr machen würde, denn daß mit dem nicht gut Kirschen essen war, hatte er gemerkt. Die anderen Schnitter hatten aufgehört und sahen der Treibjagd zu, die Korte mit dem Schnittmeister veranstaltete, Stunde um Stunde, und der Schnittmeister arbeitete verbissen mit fliegendem Atem, immer auf der Flucht vor Kortes scharfer Sense. Schließlich fühlte er seine Kräfte schwinden und bat Korte die Jagd aufzugeben, versprach ihm auch alles mögliche. Korte aber verhöhnte ihn noch und trieb ihn immer weiter, unbarmherzig und gnadenlos. Plötzlich brach der Schnittmeister zusammen; ein Schlag hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Die Schnitter brachten den toten Meister zurück zum Gut, doch aus welchem Grunde dieser einen Herzschlag bekommen hatte, sagten sie nicht.

Anmerkungen

Diese Wandersage treffen wir häufig im Ruhrgebiet unter dem Titel »Der schwarze Hildebrand« an; sie »wandert« sozusagen von Ort zu Ort. Ein Kötter ist ein Kleinbauer. Hof Kuschmann lag an der Asbeck 23, heute steht dort ein Neubau. Nach Volker Frielinghaus, Haus Laer, Höfestr. 45 (Privatbesitz, von außen zu besichtigen), war der Hof schon vor 1830 Eigenbesitz von Kuschmann. Hand und Spanndienste waren um 1820 abgeschafft worden. Zur Geschichte von Haus Laer siehe die Anmerkung zur folgenden Sage.

Haus Laer (WGS 84: 51.46385° 7.272417°)

Hof Kuschmann (WGS 84: 51.460097° 7.270101°)

Literaturnachweis

  • Sondermann, BS,75–77 (nach Karl Schmidthaus, schriftliche Aufzeichnung Nr.1654, 1961, Nachtrag 1, S.18–21 im Archiv für Westfälische Volkskunde in Münster, überarbeitet von Clemens Kreuzer); vgl auch BS, 69–75


Hier finden Sie: Haus Laer (51.46385° Breite, 7.272417° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





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