Im Reich der Wasserfrau

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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"A Mermaid" by John William Waterhouse, 1905.

Zwischen Birten und Xanten liegt ein alter Rheinarm. Von ihm wird erzählt, dass darin früher viele Leute ertrunken seien. Was ein Bauer aus der Umgegend Birtens hier einst erlebte, davon berichtet eine alte Geschichte:

Ein Bauer, dessen Frau verstorben war, hatte in der Weihnachtsnacht allein die Mette besucht. Als der Gottesdienst beendet war, zündete er eine geweihte Kerze an und machte sich bei ihrem Schein auf den Heimweg. Trotzdem geriet er von der Straße ab, und bald war der Nebel so feucht und dicht um ihn, dass seine Kerze zu erlöschen drohte.

Endlich sah er ein Licht durch die Nacht schimmern. Er ging darauf zu und gelangte an ein stattliches Haus. Als er eintrat, befand er sich in einer weiten Halle. Rings an den Wänden standen eine Menge seltsamer Töpfe. Der Mann schaute sich um, ob er wohl jemanden nach dem richtigen Weg fragen könnte, da hörte er sich plötzlich beim Namen gerufen. Weil er niemand sah, erschrak er und wollte sich entfernen. Als aber das Rufen sich wiederholte, ging er dem Schalle nach und kam so zu einem der Töpfe. »Wer ruft? Wer will hier was von mir?« fragte der Mann. – »Ich bin’s, der dich ruft, dein Großvater und Pate! Die Wasserfrau hat mich in die Tiefe hinabgezogen und hütet mich in ihrem Ulkentopfe.« – »Ihr seid ja hier in einem stattlichen Hause«, meinte der Mann. – »da irrst du«, versetzte die Stimme. »Du bist hier tief im Altwasser und hättest du nicht die geweihte Kerze bei dir, so wärst du schon längst ertrunken. Das, was dir wie Nebel erschien, war das Wasser und jetzt bist du hier im Hause der Wasserfrau. Sieh nur zu, dass du schnell wieder wegkommst. Wenn sie dich findet, lässt sie dich nie wieder los!«

»Wie soll ich aber den Weg nach Hause finden?« fragte ängstlich der Mann. – »Nimm deinen Hausschlüssel und schlag den Deckel auf dem Topf mit drei Schlägen entzwei. Lass aber dabei nicht die Kerze aus der Hand, sonst bist du verloren. Hast du den Deckel zerschlagen, so bekreuzige dich dreimal mit dem Schlüssel und eile hinaus. Ich will dir dann als ein Licht voranleuchten, dem brauchst du nur nachzugehen. Tu es aber rasch und blick nicht hinter dich!« Der Mann holte nun den Schlüssel aus der Tasche hervor und zertrümmerte damit den Deckel. Dann bekreuzigte er sich dreimal und suchte so rasch wie möglich zu entkommen. Draußen tauchte er wieder in einen dichten Nebel ein, sah jedoch bald ein Licht, das vor ihm herflackerte. Er folgte ihm, so schnell er konnte, sorgte aber auch dafür, dass seine eigene Kerze nicht erlosch. Der Weg führte ständig bergan, bis endlich der feuchte Nebel verschwand und die Sterne über ihm funkelten. Da erkannte er die Gegend und fand, dass er nicht mehr weit bis zu seiner Wohnung hatte.

Am anderen Morgen sah der Mann, dass seine Schuhe ganz mit Schlamm bedeckt waren, obwohl alle Wege fest und hart gefroren waren. Da wurde ihm klar, dass er nicht geträumt hatte, sondern tief unten im Hause der Wasserfrau gewesen war.

Anmerkungen

Birten ist ein Stadtteil von Xanten. Der alte Rheinarm liegt an der Rheinberger Str.

alter Rheinarm bei Xanten (WGS 84: 51.644868° 6.479702°)

Literaturnachweis

  • Fritz Meyers, Die schönsten Sagen vom Niederrhein, 3. Aufl. 1988 Essen, S.114-116.


Hier finden Sie: alter Rheinarm bei Xanten (51.644868° Breite, 6.479702° Länge)

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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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