Hanspeter und der Teufel

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Grasmahd mit Sense

Es war einmal ein Bauer; dessen Hof war so klein, dass sich weder Knecht noch Magd bei ihm verdingen konnte. So blieb alle Arbeit in Feld und Wiese für ihn allein. Seine Frau aber, die Lisette hieß, war fleißig und sparsam, hielt Haus und Stall in bestem Stand, so dass die Nachbarn manchmal sagten: »Hanspeter hat das Glück lebendig bei der Hand.« Lisette war nicht schön, doch ganz und gar nicht hässlich. Wenn sie ins Dorf kam, war ihre Schürze immer spiegelblank. Sie hatte nur einen Fehler, darüber ging der gute Hans oft traurig durch alle Ecken und wusste nicht, wie er dem Übelstand abhelfen sollte. Lisette hatte immer Recht; es mochte kommen, wie es wollte, sie gab nicht eine Handbreit nach, und wenn Hanspeter ihr‘s auch hundertfältig aus­einanderlegte. Dann saß Hanspeter auf dem Treppenstein und dachte bei sich: »Wenn jetzt Lisette unterwegs wär’ und ein Heuwagen käm’ ihr entgegen, dann wär’s am besten, er führ’ so lange in den Graben, bis Lisette vorüber wär’.«  Eines Tages kamen die beiden Bauersleute vom Markt; sie hatten ihre schwarzbunte Kuh verkauft und waren vergnügt und guter Dinge. So viele blanke Taler, dachten sie, die können uns ein gutes Stückchen voranhelfen. Sie wurden eins, dass sie die alte Scheune abbrechen und eine neue bauen wollten. »Wenn sie mal noch so lange hält«, meinte Hanspeter, »das schiefe Ding kann uns jeden Tag zusammenbrechen« – an eine neue Scheune dachte Hanspeter Tag und Nacht. Dann rechneten sie aus, wie viele Taler doch noch nötig wären, wenn sie auch übers Jahr die rotbunte Kuh verkauften und sich das Essen hart vom Munde sparten.

So kamen sie durch Schultens große Wiese, die gerade frisch geschnitten war. »Schau mal Lisette«, sagte Hanspeter, »was ist die Wiese schön kurz geschnitten!« – »Geschnitten, sagst du Kerl? So kann doch kein Mensch eine Wiese mit einer Sense (»Schwahr«) schneiden«, erwiderte Lisette, sah Hanspeter gräsig an und fuhr ganz eigenwillig fort: » Die Wiese haben sie mit einer Schere geschnitten, so wie ich dem Schaf mit einer Schere die Wolle abschere.« Hanspeter wurde ärgerlich: » Nun sag mir Weib, wie kannst du denn eine Wiese von zwanzig Morgen mit einer Schere schneiden? Ich glaube, du bist nicht ganz klar im Kopf.« – »Was? Ich nicht klar im Kopf, sagst du blöder Kerl? Du elender Mann, du glaubst deiner eigenen Frau nicht mehr? Ich sage dir zum letzten Mal: Die Wiese wurde mit einer Schere geschnitten.« Hanspeter schwieg und ging verdrossen seines Weges. Aber je mehr er schwieg, umso aufgeregter wurde Lisette, zankte in einem fort, dass ihr zuletzt die Haare wild am Kopfe flogen. Dann sprang sie vor ihn auf den Weg, hielt ihm ihre beiden Arme vors Gesicht und tat mit ihren Fingern so wie eine Schere, die behände auf und nieder schneidet. Dabei sagte sie, ohne sich nach rechts und umzudrehen: »Mit der Schere geschnitten, mit der Schere geschnitten«, und tanzte auf dem Fußpfad hin, dass Hanspeter grau und grün vor Augen wurde. Er sprach aber kein Wort, dachte das Seine und war zufrieden, dass er bald nach Hause käme. Mit einemmal – auch Hanspeter hatte es zu spät gesehen – stürzte sie kopfüber in den Tagesbruch, der mitten auf dem Pfad vor ein paar Tagen nieder­gegangen war. »Mit der Schere …« hörte er noch, dann war sie in dem abgrundtiefen Loch ver­schwunden. Der Mann erschrak, als er sein Weib mit einem Schlage vom Erdboden gerissen sah. Doch als er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, sagte er zu sich selbst: »Gut, dass ich das Weib erst einmal los bin«, drehte sich auch nicht mehr zu ihr um und schritt nach Hause. Hier fand er alle Hände voll zu tun. Er fütterte die Kühe, schüttete den Ferkeln die Tröge voll, räumte Küche und Kammer auf und legte sich zu Bett wie einer, der von diesem Tag genug hatte. Am anderen Morgen – es war noch kühl und schummerig – erwachte Hanspeter von einem schweren Traum. Er hatte von Lisette geträumt, wie sie da elend in dem finsteren Abgrund saß, erhob sich im Bett und dachte nach, wie alles so gekommen war. »Es ist nicht recht«, murmelte er vor sich hin, »dass ich Lisette verderben lasse. Sie war doch immer gut und fleißig, und sie ist doch auch mein angetrautes Weib«, sprang aus dem Bett und sah geschwind nach dem Rechten. Dann nahm er den

längsten Strick zur Hand, der auf der Deele hing, schlang ihn um den Ellenbogen und wanderte dem Fußpfad nach in Schultens große Wiese. Er ließ sogleich den Strick hinunter und hielt das andere Ende mit beiden Händen fest. Der Strick war noch nicht richtig unten, da merkte Hanspeter, dass etwas Schweres an seinem Ende hing. Das geht ja flott mit Lisette, dachte er und zog aus Leibeskräften. Da wäre Hanspeter beinahe auf den Rücken geschlagen. Er hatte keine Lisette her­aufgezogen – der Kerl, der da an dem Strick hing, sah ganz gefährlich aus, stampfte mit seinem Bocksfuß auf die Erde und bog die Hörner gegen ihn, dass Hanspeter Angst und Bange wurde. Der Teufel aber redete ihn ruhig an: »Guck nur nicht so verbiestert!« sagte er. »So bin ich nicht, dass ich den bestrafe, der mir was Gutes tut. Ich wusste beileibe nicht, wie ich das dumme Loch verlassen sollte. Ich glaube, es liegt ein Kreuz darüber oder ein Segen.« Als Hanspeter gewahrte, wie manierlich der Teufel mit ihm sprach, fasste er wieder Mut. »Ich wollte mein Weib rausholen«, erwiderte er kleinlaut, »aber nun sehe ich, dass du das bist«. Er war ganz verlegen und band den Strick langsam wieder um den Ellenbogen. Der Teufel aber schien rein vom Verstand, blickte nach dem Schlund und rief: »Dein Weib, sagst du ? Was hab’ ich doch für eine Nacht gehabt! In einem fort ist mir der Fraumensch vor der Nase hergesprungen und hat mich angeschrien: »Mit der Schere geschnitten, mit der Schere geschnitten.« – Hanspeter sah den Bocksfüßigen recht bedröppelt an, wusste nicht, was er ihm sagen sollte. Da stellte sich der Teufel dicht vor ihn hin, hob den einen Fuß gelinde an und sagte: »Du hast mir geholfen, dass ich aus dem fürchterlichen Loch gekommen bin, du darfst dir dafür etwas wünschen. Tu einen Wunsch, welchen du magst, aber nur einen, hörst du! Sprichst du den zweiten aus, dann gehörst du mir mit Haut und Haar.« Hanspeter bedachte sich nicht lange, schaute auf einmal ganz vergnügt drein und erwiderte: »Wenn das nun so sein soll, dann möchte ich mir wohl eine neue Scheune wünschen – eine, die nicht so groß und nicht zu klein ist.«  Der Teufel quittierte seinen Wunsch, und indem er etwas unbeholfen von dannen ging, rief er Hanspeter nach: »Aber das Weib lässt du mir in dem Loch!« Wenn der Teufel Wort hält, dachte Hanspeter, dann komme ich auf billige Art und Weise an meine neue Scheune, besann sich aber nicht lange und ließ den Strick zum zweiten Mal hinunter, um auch Lisette ans Licht zu ziehen. »Heute klappt das«, meinte er. Im Nu hatte wieder jemand zugeschnappt, und wie’n Fisch so gesund stand da Lisette vor ihm.

»Sag mir«, war ihr erstes Wort, »was hast du redseliger Kerl so lange mit dem Döskopp von Teufel zu reden?« – Hanspeter erzählte ihr, wie es zugegangen war und dass ihm der Teufel eine neue Scheune versprochen habe. »Dann ist es gut,« meinte Lisette, »wenn der bloß Wort hält!« Am nächsten Morgen kamen wirklich ein paar Mauerleute, brachen die alte Scheune nieder und machten sich daran, eine neue zu bauen. Aber es ging so langsam, dass man gar kein rechtes Vorwärtskommen sah. »Wenn das nicht besser wird«, meinte Hanspeter, dann hat mich der Teufel betrogen; die Arbeit geht ja überhaupt nicht voran.« – Aber er hatte sich geirrt. Einige Tage darauf schossen die Mauern nur so in die Höhe. Der Teufel kam heimlich bei der Nacht, und in drei Tagen war die Scheune fertig. Hanspeter und Lisette konnten sich nicht satt daran sehen. Sie war nicht zu groß und nicht zu klein, ganz wie Hanspeter sich immer gewünscht hatte. Nach ein paar Monaten meinte Lisette: »Der windschiefe Stall, der passt auch nicht recht zu der neuen Scheune; das sieht ja aus wie ein Schwein mit nur einem Ohr.« Hanspeter merkte wohl, was seiner Frau im Sinne lag. »Nun lass es gut sein« erwiderte er, »wenn wir die rotbunte Kuh verkaufen, dann haben wir auch Geld für einen neuen Stall.«  »Das könnte dir so passen«, entgegnete Lisette. »Das Geld können wir besser auf die hohe Kante legen (sparen). Hat der Teufel eine neue Scheune gemacht, dann kann er auch einen neuen Stall bauen.« Aber Hanspeter schüttelte den Kopf: »Das tut er nicht, und das kann ich nicht tun. Wenn ich noch einmal meinen Mund öffne und ihn um etwas bitte, dann bin ich für immer verloren.« Aber Lisette ließ nicht nach, sie quälte den armen Hanspeter von früh bis spät. Da tat er endlich auch den zweiten Wunsch. Es dauerte auch nicht lange, da stand der Teufel da, sah Hanspeter von der Seite an – und tags drauf war der neue Stall fertig. Hanspeter aber schlich im Hause umher, wusste nicht, wo er sich verkriechen sollte; denn er ahnte wohl, dass der Teufel ihn bald holen würde. Eines Morgens, wie aus der Luft gepfiffen, stellte sich der Teufel zu Hanspeter und redete ihn ruppig an: »Du weißt, warum ich gekommen bin!« Hanspeter bebte an allen Gliedern und wusste sich vor Elend nicht zu lassen. »Ich weiß«, stotterte er, »aber das Weib, das lässt mir Tag und Nacht keine Ruhe.« – »Dein Weib?« erwiderte der Teufel, »hast du denn das Weib, das in dem Tagesbruch lag, herausgezogen?« – »Ja, das hab ich«, sagte Hanspeter kleinlaut, »ich konnte sie doch nicht da unten lassen.« – Der Teufel schaute drein, als ob er keine gute Meinung habe. »Wo ist sie denn?« fragte er, indem er sich nach allen Seiten umsah. »Sie ist in den Stall ge­gangen und will melken, sie kann jeden Augenblick reinkommen…« Da ließ der Teufel einen Furz (»Kulör«), griff nach dem Fenster und war mit einem Satz ver­schwunden. Hanspeter aber hat ihn sein Lebtag nicht wieder gesehen. (Volksüberlieferung aus dem Hattinger Land, erzählt von Karl Vaupel)

Anmerkungen

Ein Morgen entspricht etwa 2550 m2. Ein Tagesbruch bezeichnet eine Muldenbildung durch (Steinkohle-) Bergbau nahe der Erdoberfläche.

Literaturnachweis

  • Karl Vaupel, in: Westfälischer Heimatbund (In der Vorlage hat Vaupel die Dialoge in Mundart abgefasst.)




Weitere Sagen aus Hattingen.




Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Hattinger Sagenbuch.
Essen: Verlag Pomp, 2007
ISBN 978-3893552542.



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