Eine sagenhafte Wanderung in Essen-Rellinghausen

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Eine Wanderung durch Essen-Rellinghausen. Beschrieben von Martin Velling (Wanderrouten), Dirk Sondermann (Sagenauswahl).

Jahrhundertelang war Rellinghausen ein „Staat im Staate“, ein kleines Damenstift im Herrschaftsbereich des großen Damenstifts Essen. Burgen und Schlösser, verwunschene Täler und tiefe Wälder, Hexengericht und uralter Bergbau - beste Voraussetzungen dafür, dass mit der Zeit ein reicher Sagenschatz im Rellinghauser Raum entstand.

Info

Start und Ziel: Essen-Rellinghausen, Kreuzung Wuppertaler Straße (B 227)/Frankenstraße/ Marie-Juchacz-Straße

Parkmöglichkeit: Straße Zornige Ameise ggü. der gleichnamigen Gaststätte

Öffentlicher Nahverkehr: Bus-Haltestelle „Annental“ - Buslinien SB15, 142, 144, 155, 194

Länge: ca. 6 km

Gelände: eben bis leicht hügelig, einfache Wege, Bachtäler, Ortsstraßen, Wanderweg auf ehemaliger Bahntrasse

Sehenswertes: Annenkapelle, St.Lambertus-Kirche, Blücherturm, Fachwerkhäuser

Wanderung

Wer mit dem Bus ankommt, geht in die kleine Straße Zornige Ameise zur gleichnamigen Gaststätte, wo die Autofahrer parken können (der Name rührt von einer Wirtin her, die einerseits sehr fleißig, andererseits sehr aufbrausend war und vom Essener Honoratioren-Wanderverein »Trampelklub« scherzhaft »unsere zornige Ameise« genannt wurde). Wir gehen bis zum Ende der kleinen Straße (Sackgasse) und folgen links dem Rad-/Wanderweg auf stillgelegter Bahntrasse (ehemalige Strecke Heißen - Rüttenscheid - Steele Süd - Altendorf) unter der B 227 her. Nach 200 m gehen wir kurz vor der Brücke links hinab zur Straße St. Annental, dann rechts durch die schmale tunnelartige Unterführung. Nach 500 m erreichen wir die links der Straße liegende Annenkapelle.

Sage: Die Annenkapelle in Rellinghausen

In Rellinghausen gab es jedes Jahr am 25. Juli eine Kirmes, bei der die Menschen die gute Ernte feierten. Das gesamte Dorf versammelte sich an diesem Tag, und auch Freunde und Bekannte kamen aus den umliegenden Dörfern zum Feiern angereist.

Alle waren schick gekleidet und voller Vorfreude erwarteten sie die Feierlichkeiten. Zunächst wurde am Vormittag die Messe besucht, nach Beendigung der kirchlichen Ereignisse, konnte man auf dem Marktplatz Zauberer, Bänkelsänger und sogar dressierte Affen bestaunen. Ein aufregender Tag war dies besonders für die Kinder, die von ihren Eltern Süßigkeiten und allerlei Spielzeug gekauft bekamen.

Der Abend wurde zur geselligen Runde, ob im Familienkreis oder im Wirtshaus, überall wurde auf die Ernte angestoßen. Im Jahr 1516 am Kirmestag waren die Menschen besonders fröhlich, doch wurden ihre Feierlichkeiten früh am Abend durch aufkommenden Sturm beendet. Die Menschen eilten in ihre Häuser, versperrten Fenster und Türen und hofften, dass das anbahnende Gewitter ihre Felder und Wälder verschonen würde. Das Gewitter war stark und viele Blitze und Donnerschläge tobten über Rellinghausen. Sintflutartiger Regen lies alle Menschen in ihren Häusern verweilen, alle, bis auf zwei dunkle Gestalten, die das Unwetter nutzten, um sich in die Pfarrkirche von Rellinghausen zu schleichen. Von Blitzen und Donnern begleitet, entnahmen sie vom Altar einen prallgefüllten Lederbeutel, von dem sie glaubten, dass er mit Geld gefüllt sei, doch in Wirklichkeit beinhaltete dieser einen silbernen Kelch mit geweihten Hostien, die der Priester sonst unter den Kranken und Sterbenden verteilte. Die beiden flohen aus der Kirche, ohne einen Blick in den Lederbeutel geworfen zu haben. Im Mühlenbachtal angekommen öffneten sie den Beutel um ihre Beute zu zählen. Der eine erschrak beim Anblick des Kelches bitterlich und lief unter großem Entsetzen nach Essen ohne seinen Gefährten. Dieser betrachtete den mit silbernen Edelsteinen besetzen Kelch und war sehr angetan von diesem Anblick, dass er den Kelch um nichts in der Welt wieder von sich geben wollte. In seinem Eifer schüttete er die Hostien in einen Dornenstrauch an der Ruhr und floh.

Am nächsten Morgen, der Morgen nach dem Sturm, weidete ein Schäfer seine Schafe im Tal. Genau an der Stelle, an der der Dieb die Hostien ins Gebüsch geworfen hatte, knieten die Schafe plötzlich nieder, sie verbeugten sich vor dem Dornenbusch. Der Schäfer hatte so etwas vorher noch nie bei diesen Tieren beobachtet und war äußerst verwundert. Bei näherer Betrachtung erkannte er die Hostien im Gestrüpp und eilte daraufhin zurück ins Dorf von Rellinghausen um den anderen von dem Fund der Hostien zu berichten.

Die Menschen im Dorf hatten den Raub des Kelches längst bemerkt und schritten nun mit großen Schritten und unter Beten und Singen zu dem Ort, an dem der Schäfer seinen Fund bemerkte. Um den Dornenbusch versammelt, entnahm der Priester die Hostien und trug sie mit der Prozession zurück in die Pfarrkirche.

Im darauf folgenden Frühjahr ereignete sich an der Stelle, an der die Schafe sich vor dem Dornenstrauch verbeugten, etwas Wunderbares. Als die Blätter des Strauches heranwuchsen, konnte man für eine Zeit das Bild der Hostien auf ihnen erkennen. Von diesem Tage an feierten die Menschen den Fund der Hostien. In feierlicher Prozession zogen sie zum Dornenbusch um hier dem Gottesdienst unter freiem Himmel zu folgen.

An der Stelle des Dornenbusches im Annental wurde später eine kleine Kirche errichtet, die heute zu den ältesten Bauwerken von Rellinghausen zählt, die Annenkapelle. Den Verursachern dieses sonderbaren Ereignisses widerfuhr ein ganz anderes Schicksal, sie wurden kurz nach ihrem Vergehen festgenommen und zum Tode verurteilt. Einer von ihnen fand in Essen seinen Tod, der andere erlitt am Galgenberg, an der heutigen Schillerwiese auf der Rellinghauser Richtstätte, das gleiche Schicksal.

Anmerkungen: Das Annental ist das Tal, in dem heute der Rellinghauser Mühlenbach durchfließt.

Literaturangaben: Nach Wolfgang Schulze, Das große Essener Sagenbuch, Essen 1990, S.138-141

Wanderung

Wir gehen weiter leicht bergauf bis zum Ende der Straße St. Annental, kreuzen die Rellinghauser Straße und wandern drüben die Straße Im Walpurgistal hinab bis zur nächsten Kreuzung. Wir biegen links ab (Am Glockenberg) und erreichen nach 300 m (kurz hinter der Unterführung der ehemaligen Bahntrasse) den historischen Stiftsbezirk, wo die bei der Annenkapelle gefundenen Hostien einst entwendet wurden:

Kirche St. Lambertus (erste Kapelle 750, erste Kirche 943 geweiht, 998 Stiftsgründung, dreischiffige romanische Pfeilerbasilika mit original erhaltenem Turm, 1300 gotisch umgebaut, 1826-1852 unter Leitung von Schinkel erneuert), alter Friedhof mit hist. Grabsteinen und Kreuzigungsgruppe (erinnert an die Prozession »Rellinghauser Gottestracht«), Haus am Glockenberg (18. Jh., Kaplanei, Gasthaus), Küsterhaus (1670), Armenhaus (1678; bis 1823 Kirchspielschule, 1836 erneuert), Brauhaus (teils 14., teils 17. Jh., hier konnte jeder in den Stiftskesseln sein Bier brauen; 4 Etagen (!), später Wohnhaus, heute Pfarrheim), Immunitätsmauer (63 m erhalten, grenzte den vom weltlichen Recht unberührten Stiftsbereich ab), Konventsgebäude/Stiftshaus (1560-80 auf alter Wehranlage des 13. Jh. errichtet (daher 1 m dicke Mauern), Fest- und Versammlungssaal der Stiftsdamen, Bruchstein), I. Vikarie (Backstein, 19. Jh.), Wirtschaftsgebäude (16. Jh.), Spritzenhaus (renovierungsbedürftig), Kath. Pastorat (1789, bergischer Stil), Alte Dorfschänke (1487 als Herberge, Spital, Gasthaus gegründet, 1800 erneuert)

Nachdem wir uns ausführlich auf dem Stiftsgelände umgesehen haben, das wie ein vergessener Dorfkern inmitten der großstädtischen Umgebung liegt, gehen wir zum zweiten erhaltenen Rellinghauser Dorfkern: hierzu gehen wir an der alten Dorfschänke die Stiftstraße hoch und kurz darauf links in die Oberstraße hinein. An Fachwerkhäusern vorbei erreichen wir nach ca. 200 m den kleinen namenlosen Platz an der Einmündung Oberstraße/Riesweg/Am Stift/Ardeystraße:

Blücherturm (Gerichtsturm von 1567, Schauplatz von Hexenprozessen, bis 1661 Stiftsgericht, bis 1803 Landgericht, danach zeitweise Gefängnis; Name nach einem Rellinghauser Polizisten, der mit seinem Bart Marschall Blücher ähnelte und hier wirkte), verschiedene historische Fachwerk-, bergische Schiefer- und Gründerzeithäuser

Sage: Die Zeit der Hexen in Rellinghausen

In Rellinghausen wurden von einem Hexenmeister namens Buttermann geheimnisvolle Geschichten überliefert.

Einmal, als er von Rellinghausen nach Steele kam, half er einem Fuhrmann auf seltsame Art und Weise. Des Fuhrmanns Wagen hatte sich am Ufer der Ruhr im Schlamm festgefahren, mit schweren Weinfässern beladen, bewegte er sich keinen Millimeter. Der Fuhrmann war außer sich vor Wut und versuchte mit aller Gewalt die Pferde vorwärts zubekommen, doch nichts passierte.

Als der Hexenmeister Buttermann dies beobachtete, vermochte er dem Fuhrmann zu helfen. Der Hexenmeister pfiff und wie aus dem Nichts kamen sieben schwarze Katzen herbei gesprungen. Ihre Augen glühten und sie waren groß, wie sie kein Mensch vorher gesehen hatte. Die Katzen zogen den Wagen aus dem Schlamm den Deimelsberg hinauf, dort angekommen, verschwanden die Katzen und waren nicht wieder gesehen.

Buttermann wurde daraufhin als Hexenmeister auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Die Menschen erzählten sich, dass seine letzten Worte wohl: »Dies wird wohl der heißeste Tag meines Lebens sein.« gewesen sein sollen, die er lachend vom Holzpfahl aus rief.

Anmerkungen:

Diese Hexengeschichten waren früher überall bekannt und oft wurden Menschen der Hexerei angeklagt. Viele Zeitgenossen wurden aufgrund ihres Aussehens der Hexerei bezichtigt, auffallend schöne oder auffallend hässliche Menschen waren oft unter den auf dem Scheiterhaufen verbrannten, aber auch kranke Bürger wurden häufig bezichtigt, eine Verbindung mit dem Teufel eingegangen zu sein. Alle wurden zum Tode verurteilt, und es waren viele Unschuldige unter ihnen.

Rellinghausen war eine Stadt, in der es besonders viele Zeitgenossen gab, die angeklagt wurden, mit dem Teufel in Verbindung zu stehen. So ist bekannt, dass zwischen 1570 und 1595 allein 42 Menschen ihren Tod aufgrund der Hexerei-Anschuldigungen gefunden haben. Dies in einer Stadt, die damals gerade einmal 600 Einwohner hatte.

Noch heute wird an die Zeit der Hexenverbannung in Rellinghausen erinnert, es gibt dort eine Straße die Hexentaufe genannt wurde oder auch Hexenpoth, diese liegt an der Ruhr am Ende des Schellenberges. Hier gab es eine tiefe, ruhende Stelle am Fluss, die Kolk genannt wurde. Eine unheimliche Stelle war dies, das ausgeprägte Gestrüpp und die hohen und dichten Bäume des Schellenberger Waldes trugen zu dem düsteren Gebilde bei. Hexen und Hexenmeister oder Menschen, die der Hexerei bezichtigt waren, wurden an diese Stelle geführt, um hier ihre Unschuld zu beweisen. Alle Menschen, Arm und Reich, versammelten sich hier und fesselten den Bezichtigten Arme und Beine und warfen sie ins dunkle Wasser. Dies war die sogenannte Wasserprobe. Die Zeitgenossen waren davon überzeugt, dass Menschen, wenn sie mit dem Teufel verbunden waren, nicht untergehen würden. Und die Unschuldigen versanken mit Geschrei und Gewimmer in dem stillen Wasser der Ruhr.

Somit gab es kein entkommen, wenn man einmal der Hexerei angeklagt war. Die Schuldigen wurden nach der Wasserprobe zum Tode verurteilt und die Unschuldigen ertranken bitterlich, flehend und betend vor den Augen der Menschen von Rellinghausen.

Viele Zeitgenossen fanden so ihren Tod an dieser Stelle der Ruhr, und die Menschen von Rellinghausen erzählen, dass sie manchmal nachts noch das Wimmern und Flehen der Unschuldigen Opfer hören können.

Literaturangaben: Nach Wolfgang Schulze, Das große Essener Sagenbuch, Essen 1990, S.142-145


Wanderung

Zum Abschluss der Tour werden wir die Stelle erreichen, an der die hier geführten Prozesse ihr trauriges Ende fanden. Zunächst wandern wir die kleine Gasse Am Stift hinunter, kreuzen die verkehrsreiche Frankenstraße und gehen drüben in die Rellinghauser Straße hinein. Rechts sehen wir den Stiepelturm (bäuerlicher Wehrturm (»Steingaden«) des 15. Jh. für Wohn-, Verteidigungs- und Zufluchtzwecke), gehen aber links durch die Grünanlage zur ehemaligen Bahntrasse, der wir rechts bis zum Ausgangspunkt an der Zornige Ameise folgen (unterwegs sehen wir kurz hinter der ersten Unterführung links und rechts die bewachsenen Bahnsteige des früheren Rellinghauser Bahnhofs; auf dem rechts folgenden ALDI-Parkplatz liegt zur Erinnerung an die hiesige Bahn- und Zechengeschichte ein Stück Schiene mit einer informativen Tafel). Zum Abschluss der Tour gehen wir zur Kreuzung Wuppertaler Straße (B 227)/Frankenstraße/Marie-Juchacz-Straße: hier am Hochufer der Ruhr befindet sich die Stelle, wo die Rellinghauser Hexenprozesse ihr grausiges Ende fanden; der volkstümliche Name Hexentaufe floss sogar in eine nahegelegene Straße ein.


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