Eine niederrheinische Christuslegende

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Skulptur Jesus und Petrus

Eine Geschichte vom Heiland und von Petrus, die so recht die urwüchsige Auffassung des Volkes, wie sie auch in den alten Holzschnitzereien uns entgegentritt, veranschaulicht, wird aus der Gegend von Ginderich erzählt.

Eines Tages kam der Herr mit St. Petrus auf seiner Wanderschaft von Alpen nach Ginderich. In dem ersten großen Bauernhause unmittelbar vor dem Dorfe kehrten sie ein und fragten um ein Nachtlager in der Scheune. Der Bauer, ein rechter Gradaus, sagte: »Ja, ja, das ist schon gut, aber so kräftige Leute, wie Ihr seid, können auch die Kost verdienen. Ihr könnt sogar die ganze Woche hier bleiben; dagegen müsst ihr für Essen und Schlafen mit Dreschen helfen!« St. Petrus schaute den Herrn von der Seite mit einem eigentümlichen Blick an, denn das Dreschen gefiel ihm gar nicht; der Herr aber ging ruhig auf das Verlangen des Bauern ein. Nach einem kräftigen Abendessen führte der Bauer die beiden in die Zelle, worin ein Bett stand und sagte: »So, da sollt ihr schlafen! Morgen früh müsst Ihr auf der Dähl (Deele) sein zum Dreschen!« 

Beide lagen in einem Bett, Petrus vorn. Vor dem Einschlafen sagte Petrus noch: »Es ist nur gut, dass wir Winter haben, denn dieses Dorf ist im Sommer verrufen wegen der Insekten.« Danach waren beide bald eingeschlafen.

Am anderen Morgen, etwas nach fünf Uhr, wird Petrus plötzlich geweckt von einem furchtbaren Lärmen und Poltern. Der Bauer steht vor dem Bette mit einer Peitsche und schimpft über die Langschläfer. Zugleich haut er dem Petrus gehörig eine drüber, da er, vorn liegend, auch zuerst hätte aufstehen müssen. Natürlich springen sie jetzt rasch heraus und helfen beim Dreschen. Die Arbeit ging auffallend rasch vonstatten. Die Arbeiter waren fleißig und guter Dinge, so dass noch einmal soviel gedroschen wurde, als an anderen Tagen. Des freute sich schmunzelnd der Bauer.

Der lange Tag der Arbeit brachte Müdigkeit und Schlaf mit sich, und nun wünschte St. Petrus, der Herr möchte vorn schlafen, »denn«, sagte er »so einem groben Bauern ist nicht zu trauen, und ich mag nicht immer die Hiebe kriegen.« Der Herr in seiner ruhigen stillen Weise erfüllte Petrus den Wunsch.

Am anderen Morgen um 5 Uhr stand wieder der Bauer lärmend am Bett. »Immer sich verschlafen!« schrie er. »Ihr seid doch rechte Faulenzer. Beide seid ihr schuld daran. Gestern habe ich den Vordersten verhauen. Das scheint nichts zu helfen, jetzt will ich den Hintermann zeichnen, weil er seinen Kameraden nicht heraus treibt!« Und damit schlug er wieder auf den armen Petrus los, der sich krümmte vor Schmerz und Verdruss.

Im Verlauf des Tages beschwor Petrus den Herrn, sie möchten doch weiterziehen, denn ein solches Leben sei nicht auszuhalten: des Tags über schwere Arbeit und noch jeden Morgen Prügel, das möge ein anderer ertragen! Beide gingen nun nachmittags fort nach Uedem, Petrus mehr und mehr überzeugt von der Wahrheit, dass diese Welt nichts ist als ein Jammertal und das Leben nichts als Kreuz und Leiden.

Anmerkungen

Alpen ist ein Ort im Kreis Wesel. Uedem ist ein Ort im Kreis Kleve.

Literaturnachweis

  • Karl Heck, Heinrich Peitsch, Es geht eine alte Sage, Sagen, Legenden und Erzählungen vom unteren Niederrhein, Wesel 1967, S. 86f. (nach: Heimatspiegel)




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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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