Die wilde Hummel – Judith von Loe

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Gasthaus Loemühle

»Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges hatte das Vest viel unter Durchzügen und Einquartierungen des fremden Kriegsvolks und unter Abgaben zu leiden. Doch auch nach dem Friedensschluss 1648 blieben noch mehrere Kompanien Schweden im Land, bis die Entschädigungssumme bezahlt war. Der Besitzer war Freiherr Dietrich von Loe. Er wohnte dort mit seiner Frau und zwei Töchtern, Wilhelmine und Judith. Die beiden waren sehr verschieden, die eine sanft und häuslich und Judith übermütig und wild. Sie streifte lieber mit den Junkern und Offizieren durch Wald und Feld und hetzte Hasen auf der Marler Heide.

Zwischen dem schwedischen Oberst und Judith entstand ein Liebesverhältnis, das dazu führte, dass der Oberst Judith heiraten wollte. Doch der Feiherr von Loe trat der Werbung hart entgegen, weil der Schwede ein Protestant war. Eines Abends zog der Oberst nach schwerem Abschiednehmen von seiner Geliebten fort und verschwand. Nach einigen Wochen begab es sich, dass der Freiherr von Loe von einer Musterung der Ritterpferde, die in Buer stattgefunden, nach Hause zurückritt. Da begegnete ihm in der Abenddämmerung ein vermummter Reiter, mit dem er in einen heftigen Wortwechsel geriet. Das artete in einen Zweikampf aus, und ehe der nachreitende Knecht wusste, was geschehen war, lag sein Herr zu Tode verwundet am Boden. Der andere jagte mit seinem Pferd davon. Als der Knecht die Leiche seines Herrn nach Hause brachte, herrschte dort große Bestürzung. Das Fräulein Judith von Loe war spurlos verschwunden. Im Schloss herrschte große Trauer über den doppelten Verlust. Ein Gerücht machte die Runde, dass Judith am Tod ihres Vaters mitschuldig sei. Trotz aller Nachforschungen blieb Judith verschollen. Später erzählte man, sie sei mit einem schwedischen Oberst nach Bremen entflohen, das damals schwedische Garnison war.

Wilhelmine, Judiths jüngere Schwester, hatte sich inzwischen mit dem Freiherrn von Wydenbrück verheiratet. Er stand als Geheimrat im Dienste des Münsterschens Fürstbischofs Bernhard von Galen (Gegner der Wiedertäufer). Der Freiherr hatte nichts mehr von seiner Schwägerin Judith gehört und betrachtete sich als Erben von Schloss Loe. Im Sommer verbrachte seine Familie dort stets einige Wochen. Als er nun wieder einmal auf dem Schloss Loe anlangte, fand er das Außentor verschlossen. Endlich erschien auf der Zugbrücke ein fremder bärtiger Mann in schwedischer Reiteruniform. Er bedeutete dem Freiherrn, dass er umkehren solle und drohte mit einem Karabiner. Doch der Herr von Wydenbrück gab sich als Herr der Burg zu erkennen und befahl, sofort zu öffnen. Der Schwede gab daraufhin Feuer. Nun begab sich der Freiherr nach Marl ins Pastorat und erfuhr vom Pfarrer, dass das Schloss von einem soldatisch aussehenden Herrn und seinen Mannen besetzt worden sei. Man hatte sich für eine Belagerung ausgerüstet: Lebensmittel beschlagnahmt, Wasser in die Gräben gelassen, das Außentor verrammelt, Pferde und Kühe in den Schlosskeller gebracht, die unteren Fenster mit Eisenblenden geschlossen und eine Schildwache auf die Zugbrücke gestellt. Der Freiherr war sehr erstaunt. Noch am gleichen Tag erfuhr er aus einem langen Brief, dass der zweite Schlossbesitzer mit ihm eine Zusammenkunft auf der kahlen Heide zwischen Loe und Marl für den nächsten Morgen forderte. Er ritt, bewaffnet mit Degen und Pistolen und mit einem Knecht zum Treffpunkt. Schon von weitem sah er einen Reiter in schwedischer Tracht, der ihm zurief: »Kennst du deine Schwägerin Judith nicht mehr? Ich habe von meinem Eigentum Besitz genommen. Habt ihr fünfzehn Jahre Burg Loe gehabt, so werde ich es in den nächsten fünfzehn Jahren besitzen, und dann wollen wir teilen. Ist`s euch recht, dann sind wir Freunde, sonst bleibt`s bei ehrlicher Fehde.« Dann warf Judith das Pferd herum, und bis der Freiherr sich von seinem Staunen erholt hatte, war sie schon weit weg. Nach Münster zurückgekehrt, klagte er dem Fürstbischof seine Not. Es gelang dem Geheimrat seinen Herrn zu einem Schreiben an den Erzbischof von Köln zu bewegen, worin der gebeten wurde, dem Freiherrn von Wydenbrück gegen seine Schwägerin zu seinem Recht zu verhelfen. Die Erlaubnis des Kölner Landesherrn kam an, und der Ritterschaftsmarschall wurde beauftragt, die Austreibung des Besetzers vorzunehmen. Eine Gruppe von fünfzig Mann zog vor das Schloss und forderte die Besatzung zum Abzug auf. Nachdem das keinen Erfolg hatte, wurde das Achtmandat gegen Judith, Freiin von Loe, verlesen. Dann nahm man Besitz von den Ökonomiegebäuden (Bauhof), die dem Schloss gegenüberlagen. So war es völlig blockiert und jede Zufuhr von Außen abgeschlossen.

Nach sechs Wochen wurde die weiße Fahne aufgesteckt, und der Ritterschaftsmarschall schloss mit der Freiin von Loe eine Kapitulation ab. Danach erhielt sie freien Abzug und eine Entschädigung von dreitausend Talern Clevisch und entsagte all ihren Ansprüchen an ihren Schwager und dessen Familie. Sofort verließ Judith mit ihren sechs Kompanien zum zweitenmal die Heimat und verschwand spurlos. Später erzählte das Gesinde, dass bei der Belagerung im Schloss geblieben war, von dem Fräulein Judith, das seinerzeit durch den Oberst als Jonkherr Gent von Oyen in schwedische Dienste gekommen war. Dort hatte sie es bis zum Rittmeister gebracht. Doch die Freundschaft entwickelte sich zu einer Feindschaft, die in einem Zweikampf endete. Dabei war der Oberst verwundet worden und nach Schweden zurückgekehrt. Dort verriet er das Geschlecht des Jonkherrn. Daraufhin verschwand Judith von Loe aus dem Regiment und tauchte erst auf Schloss Loe wieder auf. Kurz vor seinem Tode las der Freiherr von Wydenbrück in einem der fliegenden Blätter, Vorgänger unserer Zeitungen, dass in der Eifel in der Nähe von Münster Eifel ein Eremit gestorben sei, der wie ein Heiliger verehrt worden war. Bei ihm entdeckte man ein goldenes Medaillon mir Haaren und fand darauf das Wappen derer von Loe zum Loe. Daraus schloss man, dass Judith als Eremit gelebt hatte. Das berichtete der »Reihnische Antiquarius«.

Anmerkungen

Von der historischen Judith von Loe ist folgendes bekannt: Judith von Loe war das älteste von sieben Kindern des Freiherrn Dietrich von Loe zu Loe und Dorneburg. Diese Burg war südlich der Emscher gelegen auf dem Gebiet der heutigen Stadt Herne-Wanne. Burg Loe lag in Marl, nahe Hagen-/Rappaportstraße. Dietrichs Vater Johann von Loe zu Loe fiel als Obrist 1632 im Dreißigjährigen Krieg bei Lützen. Auch der Schwedenkönig Gustav Adolf fand in dieser Schlacht den Tod.

Auf welcher Seite Johann von Loe gekämpft hat, ist der Verfasserin nicht bekannt. Da die von Loe als Mitglieder der Vestischen Ritterschaft im Kölnischen Land Vest Recklinghausen Untertanen des Erzbischofs und Kurfürsten von Köln waren, kann vermutet werden, dass sie auf katholischer Seite, d.h. bei den Kaiserlichen kämpften. Andererseits war bei den vestischen Adelsgeschlechtern im 16. Jahrhundert viel Sympathie für die neue Lehre Martin Luthers vorhanden gewesen.

Dietrich, Judiths Vater, hatte Ida von Gent zu Oyen geheiratet. Von deren beiden Söhnen trat einer – wie damals üblich – in ein Stift ein und war dort lebenslänglich versorgt. Der andere erbte den Familiensitz. Doch der jüngste, geboren nach dem Tod des Vaters (1668), starb früh ohne Erben. So war Judith von Loe Erbtochter geworden. Ihr Geburtsjahr, zwischen 1650/52, zeigt, dass sie nach dem 30jährigen Krieg zur Welt kam. Sie war eine gute Reiterin und konnte mit Waffen umgehen. Ihr Portrait zeigt sie zwar in einem Kleid, doch mit »angelegtem Schutzschild«, einem sogenannten Eipanzer, auch Brünne genannt. Vermutlich war es ihr Wunsch, gepanzert portraitiert zu werden. Auf der Rückseite des Bildes ist ihr Alter mit 20 bis 25 Jahren angegeben. Dass Judith von Loe anders lebte als es damals von einem Mädchen von Adel erwartet wurde, zeigte ihr Beiname »die wilde Hummel«.

Zur Zeit ihrer Geburt war der 30jährige Krieg beendet. Selbst die länger verbleibenden Schweden, die Wiedergutmachungsgelder eintreiben sollten, waren abgezogen. Doch schon bald begannen die Erbfolgekriege 1701–14, der Polnische 1733-38, der Österreichische 1740–48 und 1756-63 der 7 jährige Krieg zwischen Preußen und Österreich. Bei der Aufzählung der Truppen, die in diesen Kriegen durchs Vest zogen, waren keine Truppen aus Schweden dabei, wohl aber dänische. Diese waren die einzigen, die Verpflegung und Logies bezahlten. Für die Zeit zwischen 1668 und 1705 gibt es keine Hinweise für einen Aufenthalt Judiths von Loe in ihrer Heimat. Im Jahre 1705 besetzt sie Burg Loe (Siehe Sage). 1715 ficht sie einen Prozess für ihr Erbteil an, erfolgreich. 1720 ist Judith von Loe eine der Patinnen, die neben den Paten bei den Kindern (Zwillingen), ihrer Nichte in der Taufurkunde genannt wurden. »Hochwohlgeb(orene) Frau (lein) JUDITH VON LOE« (17. September 1720). Die Taufe fand in der St. Georgskirche in Marl statt. Judith von Loe starb 1721 in Wesel, wo sie in einer Abendmahl-Genossenschaft der Wilibrordusgemeinde (protestantisch) lebte. Zur Geschichte der Burg »Strevelsloe« in Marl.

Der Heimatverein Marl ergrub auf Betreiben einiger Heimatfreunde 1968 Haus Loe, wie die Burg Strevelsloe in Marl genannt wurde. Dabei konnte man die Burg rekonstruieren. Aus der Geschichte wusste man, dass die Burg sehr fest war, denn im 30jährigen Krieg wurde sie nicht eingenommen. Mit Hilfe der Aufzeichnungen eines späten Besitzers wurde die Bestimmung der einzelnen Räumen erleichtert. Letztlich hatten Anlage und Bau noch die charakteristische Einteilung eines Wohnturms, der frühen Form einer Niederburg im Wasser. Dabei stand auf der kleinen Insel der Wohnturm, auf der großen der Bauhof (Bauernhof). Vor den Gräften lag die Mühle in einem tiefen Gelände. Das abfallende Wasser betrieb das Mühlrad.

Von den zweigeschossigen Kellerräumen diente das untere der Vorratshaltung. In unruhigen Zeiten wurden in Kellerobergeschoss Pferde, Kühe und Schweine untergebracht. Die Hühner liefen vermutlich in mehreren Geschossen herum. Der Eingang des Wohnturms war nur über eine Zugbrücke zu erreichen. Auf diesem Niveau befand sich die geräumige Küche mit Brunnen und großem Herd. Die Kemenate der Ritterfamilie lag im Obergeschoss. In einem Zwischengeschoss hielten sich die Burgmannen, die Verteidiger der Burg, auf.

Die ursprüngliche Gräftenanlage Haus Loe wurde um 1130 im Bereich des heutigen Gymnasiums an der Max Planck Straße 23 in Marl erbaut. Sichtbare Reste des ersten Haus Loe sind oberirdisch nicht vorhanden.

Die Marler Heide lag im heutigen Stadtteil Marl–Brassert im Umkreis der Brassertstr. Buer ist ein Stadtteil von Gelsenkirchen. Münstereifel ist Bad Münstereifel (Kreis Euskirchen) in Nordrhein-Westfalen.

Gaststätte Loemühle (WGS 84: 51.655186° 7.132841°)

Literaturnachweis

  • Adelheid Kollmann, Sagen aus dem alten Vest und dem Kreis Recklinghausenn, Recklinghausen 1994, S. 93 – 96 (nach: VZ (Vestische Zeitschrift) 20. Bd. 1910, S. 51 ff., Christian Stromberg im »Rheinischen Antiquarius”.;
  • Eugen Vetter, VK (Vestischer Kalender), 1926, S. 37 ff.
  • Werner Burghard/ Kurt Siekmann, Recklinghausen- Kleine Stadtgeschichte, Recklinghausen 1971, S. 42 ff.
  • Horst Pfeiffer/ Anton Winter, Zur Geschichte des Hauses Loe, Ein Versuch, in die Geschichte des alten Marl vorzudringen. Marler Jahrbuch 1987, S. 9 ff., Burg Loe S. 32/33, Porträt S. 49.
  • (Kollmann)


Hier finden Sie: Gaststätte Loemühle (51.655186° Breite, 7.132841° Länge)

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