Die schwarze Frau auf der Bredde

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Roggenernte in kleinbäuerlicher Wirtschaft

Auf der Bredde in der Braubauernschaft wohnte vor vielen Jahren eine sehr reiche, aber auch sehr geizige und habgierige Witwe mit ihrer einzigen Tochter. Das Feld der reichen Witwe stieß auch an die paar Äckerlein einer armen Witwe. Diese hatte wohl ein Trüppchen Kinder, aber nur eine einzige Kuh. Die reiche Witwe war darauf aus, ihre Äcker zu vergrößern. Dazu war ihr jedes Mittel recht. Nur nach Reichtum trachtete sie, nach Geld und Gut. Die Tochter sollte eine begehrte Erbin werden. Fand sich aber einmal ein Freier ein, so kam er gewiss zum zweiten Mal nicht wieder. Entweder war er der Bäuerin nicht reich genug, oder der junge Bauernsohn hatte Angst vor einer solchen zukünftigen Schwiegermutter bekommen.

Auf ihrem Hofe hatte die reiche Witwe einen Großknecht, der schon die geheimsten Habgiergedanken seiner Hofbäuerin erriet und der sich kein Gewissen daraus machte, fremde Leute zu schädigen.

Eines Tages sprach die reiche Bäuerin zum Großknecht: »Höre, Dirk, mein Acker, der da drüben am Bach an das Äckerlein der Nachbarin stößt, könnte eigentlich etwas breiter sein. « Der Großknecht verstand seine Herrin. Beim nächsten Pflügen schon schnitt er einen Streifen vom Acker der armen Witwe ab. Die reiche Witwe besah die Arbeit ihres Großknechtes. Sie lobte ihn und reichte ihm statt eines Glases Fusel deren zwei. Dann sprach die reiche Witwe zum Großknecht: »Ich meine, der Bruchacker, der dort am Eichbaum an das Äckerlein der Nachbarin schießt, sei voriges Jahr länger gewesen. « Als Antwort schnalzte der Großknecht mit der Zunge – er dachte dabei an ein besonderes Glas Fusel – und pflügte alsbald einen Streifen von dem Äckerlein ab. Und das Glas Fusel blieb wirklich nicht aus. Wie es mit dem Bachäckerlein ging und mit dem Äckerlein am Eichbaum, so ging es mit dem Brinkäckerlein und dem Kampäckerlein und jedem Äckerlein der armen Witwe. Und ihr Grenzwieslein wurde auch immer kleiner. So kam es denn, dass die Erntewagen der reichen Witwe immer größer wurden, der der armen Witwe aber immer kleiner.

Eine Reihe von Jahren ging es so weiter. Die arme Witwe musste für die Kuh eine Ziege in den Stall nehmen, und endlich musste sie auch diese verkaufen und mit ihren Kindern zuweilen hungern. Dagegen hatte sich die reiche Witwe Jahr für Jahr das eine und andere Ackerstreifchen selber zugeeignet und Dirk seinen Fusel bekommen.

Hätte die arme Witwe nicht die reiche Nachbarin verklagen sollen, da gütlichen Worten doch nur harte folgten? Ja, wäre der Richter nicht der Vetter der reichen Frau und wäre er wenigstens ein gerechter Mann gewesen! Nach mehreren Jahren starb dieser Richter, und ein neuer wurde eingesetzt.

Sollte jetzt die arme Witwe die reiche Nachbarin verklagen? Aber wer zum Richter gehen wollte, musste diesen zuvor mit zwei Schilling willig machen und den Gerichtsfron mit 12 Pfennig. Die arme Witwe aber hatte kaum einen Pfennig, geschweige denn mehr als zwei Schilling. Endlich lieh ihr der Butenbauer das Klagegeld gegen hohen Zins. Und nun wurde die reiche Witwe verklagt. Der Richter aber hatte nicht alsobald Zeit, und so lud er die zwei Witwen auf einen Tag vor, an dem die Ernte schon eingebracht worden wäre.

Auf dem Hofe der reichen Witwe wurde viel Weizen und Roggen, Gerste und Hafer eingefahren, ein Fuder immer schwerer und größer als das andere. Die reiche Frau wusste wohl, weshalb die Scheune von Jahr zu Jahr reichlicher gefüllt ward. Sie dankte es, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, jeweils mit einem Glas Fusel.

Der letzte Tag der Ernte für den reichen Hof war gekommen, und den letzten Erntewagen, festlich mit dem großen Erntekranz geschmückt, wollte der Großknecht einfahren. Am Abend sollte dann auf der Deele das Erntefest des Hofes gefeiert werden bei Spiel und Tanz der Knechte und Mägde. Die Fahrt des letzten Erntewagens ging vom Acker bis an die Gräftebrücke ganz gut. Aber als der Wagen über die Brücke biegen wollte und der Großknecht, der schon zuviel getrunken hatte und dem die Fahrt nicht schnell genug ging, die Pferde heftig mit der Peitschenschnur und dann unbarmherzig mit dem Peitschenstiel schlug, – da widersetzten sich die Pferde, und der Gaul, der sonst vom Großknecht gern beim Pflügen verwendet ward, stemmte sich auf die Vorderfüße, bäumte sich hinten auf, schlug aus und versetzte dem Großknecht einen so wuchtigen Schlag vor die Brust, dass er kopfüber im Bogen in die tiefe Gräfte flog und im Wasser und Schlamm elend ums Leben kam.

Am Gerichtstag erschienen die reiche Hofbäuerin und die arme Kötterwitwe vor dem Richter. Der als Zeuge geladene Großknecht fehlte natürlich. Der Richter fragte zuerst die arme Witwe, und immer fuhr die reiche Bäuerin dazwischen: »Was die Kötterin da sagt, ist alles gelogen, ist alles gelogen!« Ehe dann die reiche Witwe aussagte, bemerkte der Richter, dass sie nachher alles, was sie sagte, über den Heiligen beschwören müsse. Und nach vielen, vielen Worten sprach sie: »Was die Kötterfrau hier gesagt hat, ist alles gelogen. Niemals hat der Großknecht Dirk Land abgepflügt. Jede Fußbreite Landes, die ich abgeerntet habe, gehört mir rechtmäßig seit ewigen Tagen. Das schwöre ich über allen Heiligen. « Und dabei legte sie die rechte Hand auf die Reliquienknochen.

Als im nächsten Jahre das Korn anfing zu reifen, legte sich die reiche Witwe aufs Bett, rief ihre Tochter zu sich, legte die rechte Hand aufs Herz und sprach: »Es ist mir nimmer wohl. « Und ehe noch der erste Erntewagen eingefahren wurde, starb sie. Feierlich wurde sie begraben.

Jedes Mal, wenn der Tag sich jährt, an dem die reiche Witwe den falschen Eid vor dem Richter schwur, steigt sie um Mitternacht aus ihrem Grabe und schreitet in ihrem schwarzen Totenkleid auf der Bredde die abgepflügten Streifen entlang und stürzt sich dann an der Stelle kopfüber in die Gräfte, wo der Großknecht seinen jämmerlichen Tod fand.

Die Erbtochter wurde von keinem Manne zum Weibe begehrt. Der Hof ging den Krebsgang und kam in fremde Hände. – Ist auch das alte erbgesessene Geschlecht auf dem vormaligen reichen Gute verschwunden, so kannst du doch heute noch die letzten Reste der Gräfte erkennen. »

Anmerkung

Op de Bredde liegt in Gelsenkirchen-Bismarck. Grasreiner merkt an, das die »schwarze Frau“ Herrin auf dem Hof Dinsingh in der alten Braubauerschaft (heute Gelsenkirchen-Bismarck) - nicht zu verwechseln mit Haus Dinsingh bei Gelsenkirchen-Sutum- gewesen sei.

Die alte Braubauerschaft war von tiefen Entwässerungsgräben, die man Gräfte nannte, durchzogen. Op de Bredde gab es vormals zwei Höfe, die jeweils von einer Witwe geführt wurden. Die Schwarze Frau soll später auch in (Gelsenkirchen-) Erle An der Gräfte gesehen worden sein. Zu Deele (= Tenne) siehe die Anmerkung zu Sage 37.

Haus- und Hof Dinsingh, Hof Bute sowie Bruch-, Brink-, und Kampacker sind nicht lokalisierbar (Hinweis erbeten !).

Op de Bredde (WGS 84: 51.532462° 7.122182°)

Literaturnachweis

  • WS, Nr. 69 (nach Grasreiner, 86-89; vgl. Heinrichs, 163f.) nach Leiermann, 1936, 168 sind diese Aufzeichnungen ``nicht im Volke entstanden. Es sind Erdichtungen der Verfasser. »


Hier finden Sie: Op de Bredde (51.532462° Breite, 7.122182° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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