Die rote Liese von Kurig

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Hexenverbrennung 1555

Am Fuße des Paschenberges lag vor vielen, vielen Jahren, zu der Zeit, als ein schrecklicher Hexenwahn ganz Deutschland in seinen Bann geschlagen hatte und auch das Münsterland nicht verschonte, die alte Bauerschaft Kurig. Sie ist später in das Dorf Herten aufgegangen.

Mehrere große Bauerngehöfte mit umfangreichen Ländereien gehörten zu dieser Bauerschaft. Am äußersten Ende des Dörfleins lag ein unscheinbar kleines, aber reinliches Insthaus, darin wohnte die »rote Liese«. Ihren Namen hatte sie von dem brandroten Haar, das sie wie eine Krone über dem hübschen, etwas männlich wirkenden Gesicht trug, in dem ein Paar hellblitzende Augen von Energie und Lebensmut zeugten.

Wenn die rote Liese hochaufgerichtet die Dorfstraße entlangging, folgten ihr manche bewundernden und auch begehrlichen Blicke, aber es gab keinen Bauernburschen und keinen Knecht, der ihr auch nur das geringste hätte nachsagen können, denn die rote Liese war für peinlichste Sauberkeit in jeder Hinsicht. Auch ihr kleines Hauswesen hielt sie wohl in Ordnung, und bei den Bauern auf dem Felde schaffte sie für drei.

Bei den weiblichen Insassen der Bauerschaft war sie jedoch nicht gut angeschrieben; die Bauerntöchter schauten ihr mit hämischen Blicken nach und zuckten verächtlich die Achseln, und von den Frauen wurde sie kaum beachtet.

Eines Tages hieß es, und niemand wußte, wer das Wort zuerst ausgesprochen hatte: »Die rote Liese ist eine Hexe!« Alles Unglück, das in der Bauerschaft geschah, wurde mit ihr in Verbindung gebracht. War einem Bauern ein Pferd gefallen, so hatte die rote Liese es mit ihren Zaubersprüchen »gebannt«; erkrankten die Schweine an einer bösen Seuche, so trug sie die Schuld. Und als gar eines Nachts ein Hof in Flammen aufging, war die »rote Hexe«, wie man sie jetzt nannte, die Übeltäterin.

»Schaut sie an, die rote Hexe, trägt sie nicht selbst die feurige Lohe auf ihrem Haupt!« riefen einige Bäuerinnen. »Ersäuft sie wie eine Katze in dem Kolk auf dem Berge!« ließen sich andere vernehmen.

Noch einmal und noch ein drittes Mal flackerte der rote Hahn (Feuer - D. S.) über zwei Gehöften von Kurig auf. Da rotteten sich die erbosten Menschen vor dem Häuschen der roten Liese zusammen.

»Heraus, du rote Hexe«, riefen sie, »der Herzgurt soll dich richten'« -

Mit gebundenen Händen wurde die rote Liese unter dem Geschrei der Bewohner den Berg hinaufgeführt. Niemand achtete darauf, dass im Westen eine dunkle Wolke dräuend am Himmel heraufzog.

Vor dem wassergefüllten Kolk unter den hochstämmigen Bäumen machte der Zug halt.

»Nun zeige, ob du das Wasser brechen kannst!« riefen zwei kräftige Burschen und warfen das wehrlose Weib, das während des ganzen Weges seine Unschuld beteuert hatte, in den Tümpel.

Kaum war die rote Liese im Wasser versunken, da flammte der Himmel brennendrot. Ein heller Blitzstrahl zuckte hernieder und prasselte in den Kolk hinein, daß eine Wassersäule hoch emporsprang und die vom gleißenden Licht geblendeten Menschen erschreckt zurückwichen.

Unter gurgelndem Geräusch verschwand das Wasser im Erdboden, und auf dem Grunde des leergelaufenen Kolks lag bewußtlos die vermeintliche Hexe.

»Ein Gottesurteil!« murmelten die Umstehenden. »Gott selbst hat gerichtet!«

Sie trugen die Ohnmächtige den Berg hinab in ihr Häuschen, und die Bauerntöchter pflegten sie abwechselnd, bis sie wieder gesund war.

Eines Tages jedoch fanden die Bewohner von Kurig das Haus der roten Liese leer. Sie war ohne Abschied in die Welt gewandert, um Menschen zu suchen, bei denen man Neid und Haß nicht kennt. Niemand weiß, ob sie solche Menschen gefunden hat, denn die rote Liese ist in ihr verlassenes Heim nicht mehr zurückgekehrt.

Lange Jahre nach ihrem Verschwinden konnte festgestellt werden, daß ein Knecht, der von einem Kuriger Bauern entlassen worden war, sich aus Rache der dreifachen Brandstiftung schuldig gemacht hatte. Heute erinnert nur der wasserlose Kolk auf dem Paschenberge, der seit jener Zeit den Namen »Hexenkuhle« trägt, und in dem sich seitdem kein Wasser mehr gesammelt hat, an die »Hexe von Kurig« und ihr trauriges Schicksal.

Anmerkung

Der Name Kurig (Currewic; wig = Siedlung) ist schon 1140 belegt. Die Bauerschaft lag in der Nähe des Paschenberges, der nördlich des Parks von Schloss Herten liegt, zu dessen Grundherrschaft Kurig wohl gehörte. Der noch in landwirtschaftlich geprägter Gegend liegende Paschenberg befindet sich westlich des Sportplatzes an der Paschenbergstr. Südlich vom Paschenberg befindet sich die Hexenkuhle. Ein Insthaus ist ein Miethaus.

Paschenberg (WGS 84: 51.598087° 7.126479°) Hexenkuhle (WGS 84: 51.595885° 7.124564°)

Literaturnachweis

  • Midunsky, von Pilgrim, 76f. ; in Am. verwendete u. weiterführende Lit. : Kollmann, 72-74


Hier finden Sie: Paschenberg (51.598087° Breite, 7.126479° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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