Die Kapelle zum heiligen Ägidius an der Kluse bei Baldeney

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Als Engelbert der Heilige durch die ruchlose Hand seines Vetters gefallen war, ging die Nachricht davon wie ein Sturmwind durch den Ruhrgau hin und weiter durch das ganze deutsche Land. Trauer und Entrüstung herrschten allerwärts, Flüche und Verwünschungen gingen dem Mörder nach und sie klangen auch hinüber zu der stolzen Gräfin Isenberg. Sie war eine Verwandte des Mörders und saß in Gram auf ihrem Schlosse. Sie konnte es nicht fassen, daß ein Edler ihres Stammes sich zu solcher Tat vergessen hatte. Immer wieder sah sie ihn vor sich mit der Mordwaffe in der Hand und dann, wie er bleichen Angesichtes und gesenkten Hauptes vor dem Henker stand. Es gab nur einen Weg für sie. Sie wollte Buße tun für seine böse Tat, sie wollte sühnen für den Mörder, der nun nicht mehr sühnen konnte, weil er schon vor Gottes Richtstuhl stand.

So verließ sie ihr schönes Schloß, entsagte der Welt und begab sich in die Einsamkeit. Sie wanderte die Ruhr entlang, den rechten Ort zu suchen, den sie bei Rellinghausen fand. Dort dehnte sich ein dichter, weiter Wald, den selten nur eines Menschen Fuß betrat. Es war darin so still und feierlich, daß sie die Nähe Gottes ahnte. Hier schlug sie ihren Wohnsitz auf. Sie ließ sich eine kleine Kirche bauen und neben ihr eine Kammer oder Kluse. In diese war die Gräfin auf ihren eigenen Wunsch hin eingemauert. Nur eine kleine Öffnung blieb, damit sie zum Altare sehen und Speise und Trank empfangen konnte. Sie lebte in der kleinen Zelle in strengster Einsamkeit bei Fasten und Gebet. Nur ein Priester weilte in der Nähe, der den heiligen Dienst versah und ihrer Seele Beistand leistete. In dieser Kluse starb die Gräfin auch und wurde dort begraben. Nach ihrem Tode blieb das kleine Heiligtum bestehen und kam zu hohen Ehren. Fromme Beter wallten allezeit dorthin; als aber im Mittelalter die Pest unsere Gegend schwer bedrohte, wollte die Zahl der Pilger, die zur Kluse zogen, kein Ende nehmen. Sie alle flehten hier zu dem Nothelfer Ägidius um Abwendung der Gefahr. Ein alter Brauch erinnert uns noch jetzt daran. Alljährlich am 1. September, wenn das Fest der Heiligen gekommen ist, versammelt sich zum Gottesdienst in der Kluse eine große Menschenmenge. Nach dem Hochamte tritt die Gemeinde in den Wald hinaus, und hier, unter freiem Himmel, beschattet vom spätsommerlichen Gezweig der Bäume, verkündet der Priester das Wort Gottes, wie es der Heiland einst vom Berge und vom Meere aus getan. So steht die graue Kluse da als Zeuge alter Zeit. Nur die Umgebung hat sich neu gestaltet. Der Wald ringsum ist licht geworden, und das laute Leben dringt in ihn hinein. Die Menschen, die zu Tausenden und aber Tausenden den Markenweg hinwandern oder in Autobus und Eisenbahn vorübersausen, achten kaum des Steinkirchleins, das wie verloren zwischen den Wipfeln liegt. Nur wenn es der Dämmerung zum Aveläuten seine Stimme erhebt, schauen sie nach dem kleinen Turme aus, und dann und wann spricht auch einer von der Klausnerin, die in der Kluse einst gelebt. (Vos, Weinand) In einem Gutachten des Kölner Professors Hyazinth Franck aus dem Jahre 1772 wird dagegen behauptet, daß die Stiftung von dem Kapitel des Essener Damenstiftes oder einer Kanonisse desselben herrühre und für Leprosen gemacht sei. Die Stifterin, selbst vom Aussatze befallen, habe in einem Anbau der Kapelle gewohnt, von wo sie durch ein Fenster den gottesdienstlichen Handlungen des Priesters, der an Sonn- und Feiertagen daselbst Messe zu lesen und zu katechisieren pflegte, folgen konnte. (Bahlmann)

Anmerkungen

Die meist geöffnete Klusenkapelle St. Aegidius, erbaut vor 1300, liegt An der Kluse 27b. Eines der Kapellenfenster zeigt den Erzbischof Engelbert im Todeskampf. Seit einigen Jahren findet der oben genannte Prozessionsgottesdienst am letzten Sonntag im August statt. Neben der Kluse befindet sich die besuchswerte historische Gaststätte »Zur Kluse«. Zum Tode Engelberts, des Erzbischofs von Köln siehe die Anmerkung zu Sage 48 und Sage 79. Zum Stift Essen siehe Sage 40. Rellinghausen ist ein Stadtteil von Essen. Leprosen sind Leprakranke (Aussätzige). Katechisieren bedeutet Religionsunterweisung erteilen.

Literaturnachweis

  • Bahlmann, 1922, 51f. (nach Wiedemann, Die Kluse bei Baldeney, in: Essener Geschichtsbeiträge, Heft 26., 165ff.); vgl. Bahlmann, 148; vgl. Jacobs, 78f.


Hier finden Sie: Kapelle St. Ägidius (51.412933° Breite, 7.016667° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





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