Die Grüwel-Linde

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Linde

»Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so.« (1. Mose 1,11; zweiter Schöpfungstag Als die Erschaffung der Bäume an die Reihe kam, wurde zuerst als Musterbaum eine dicke, mächtige Linde am Grüggelweg erschaffen. Noch jetzt steht sie am Grüggelweg in Sevinghausen. Sie war so stark, dass drei Männer sie kaum umfassen können. Ihre drei kräftigen Wurzeln reichen tief hinunter ins Erdreich und holen sich ihre Wassernahrung aus einem unterirdischen Zaubersee.

Auf der Linde saß ein Rabe, der mit scharfem Blick Ausschau hielt nach allen vier Himmelsrichtungen. Er konnte alles sehen, was in der Welt vorging. An der Südseite des Baumes saßen drei Frauengestalten. Sie waren Schwestern.Mit dem Gesicht sahen sie nach dem Helweg hin. Alles was auf dem Weg und in dessen Nähe vorging, konnten sie genau beobachten.Was sich in der Ferne zutrug, insbesondere alles Schreckliche und alles Unglück, raunte ihnen der Rabe zu.

Die Beschäftigung der drei Schwestern war ganz eintönig. Denn jahraus jahrein spannen sie, oder eigentlich nur eine von ihnen. Es war die jüngste. Sie saß am weitesten nach Westen hin. Wenn sie einmal ein paar Augenblicke nicht spann, schaute die sonst so Fröhliche mit nachdenklichem Gesicht in der Richtung nach Steele hin, um zu sehen, wer da von der Ruhr herkäme. Einen riesengroßen Haufen Flachs hatte sie zu ihrer Rechten liegen. Hatte sie eine Fadenlänge gesponnen, so rechte sie mit ihrer linken Hand das gesponnene Stück ihrer in der Mitte sitzenden Schwester zu. Diese, bald fröhlich, bald ernst gestimmt, nahm den Faden an und reichte ihn der dritten Schwester weiter.Mit ernstem, sehr ernstem Gesicht saß diese am Ostende des Sitzplatzes. Sie schnitt jedes Mal das ihr gereichte Fadenstück mit einem Messer ab. Jedes abgeschnittene Stück ballte sie zu einem Klümpchen zusammen. Dann warf sie es mit der linken Hand weit weg über den Helweg. Dort wurde es alsbald zu Erdreich.

Da die drei Schwestern fast eine Ewigkeit lang zusammen immer dasselbe Werk trieben, so nahm der große Flachshaufen zur Rechten der fröhlichen Spinnerin merklich ab, und in dem gleichen Maße erhöhte sich der Fadenhaufen schräglinks von der ernsten Schwester. Der Fadenhaufen wuchs – wuchs – und wuchs zu einer merklichen Höhe an. Und wenn sie dann weiter einen Faden nach dem andern auf die Höhe des Haufens warf, so rief sie jedes Mal: drup! Einmal kamen Menschen in die Gegend, die meinten, auf und an die Höhe könne man wohl Häuser bauen. Das taten sie denn auch. Und sie nannten ihre Niederlassung, weil sie auf der Höhe drup stand: Höntrop.

Es war den drei Schwestern nicht angenehm, dass die Menschen sich dort anbauten. Als dann gar die Menschen nicht lange nachher den Schwestern schräg gegenüber an den jenseitigen Rand des Helweges ein Kapellchen bauen wollten und die Bauleute kamen, um den Grundstein zu legen, verschwanden plötzlich beim ersten Hammerschlag die drei Schwestern auf Nimmerwiedersehen.Mit ihnen verschwand auch der Rabe. Der Baum aber blieb stehen, und er steht da bis auf den heutigen Tag. Den Bauern waren die drei Schwestern schon lange ein Greuel gewesen. Sie waren froh, dass die drei Frauen verschwunden waren. Zum bösen Andenken an die drei Spinnfrauen nannten sie den Baum in ihrer Mundart Grüwel-Linde, an den Weg, der unheimlich von hinten nach dem Baum führt, den Grüwelweg oder Grüggelweg. Wer aber nicht in der Mundart spricht, sagt Greuelweg und Greuel-Linde.«  Das Motiv dieses Textes ist der nordischen Mythologie entlehnt. Die drei Schwestern erinnern an die drei Nornen (Schiksalsgöttinnen Urd, Verandi und Skuld der germanischen Sagenwelt.

Bis vor ungefähr fünfzehn Jahren erinnerte der die Isenbrockstraße und Ridderstraße verbindende Grüggelweg in Wattenscheid-Westenfeld an die alte Linde. F. W. Bröker setzt die Grüwellinde mit der früheren Gerichtslinde gleich, die in Staleicken an der Kreuzung In den Höfen/Ecke Sevinghauser Weg – dort wo heute eine jüngere Linde zu sehen ist – stand. In unmittelbarer Nähe liegt auch der Hof Grüggel am Sevinghauser Weg 100 (Siehe auch Sage 39: Der Galgenplatz.). Das »Kapellchen« bezeichnet die Bartholomäuskapelle am Wattenscheider Hellweg.

Standort der früheren Gerichtslinde (WGS 84: 51.460963° 7.118265°)

Literaturnachweis

  • Grasreiner, 1925, 79-81. Nach Leiermann, 1936, 168 sind diese Aufzeichnungen »nicht im Volk entstanden. Es sind Erdichtungen der Verfasser.« 


Hier finden Sie: Standort der früheren Gerichtslinde (51.460963° Breite, 7.118265° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Wattenscheider Sagenbuch.
Essen: Verlag Pomp, 2004
ISBN 3-89355-248-0.



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