Der starke Hermann
Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet
Im Lenne-und Ruhrtal singen die Kinder beim Spiel und beim Kühehüten: »Hiärmen, sla Diärmen, (»Hermann, schlag mit den Armen, sla Pipen, sla Trummen! blas die Flöten, schlag die Trommeln! De Kaiser well kummen Der Kaiser will kommen Met Stangen un Prangen, mit Prunk und Fahnenstangen, well Hiärmen ophangen.« (er) will Hermann aufhängen.« D. S.) Das ist die Erinnerung an Hermann, den Befreier Deutschlands, von dem auch folgende Sage geht: Vor vielen, vielen Jahren kamen die Römer in großen Schiffen den Rhein herunter gefahren. Es waren Männer in eisernen Wämsern, wohlbewaffnet und zum Kampf geschickt. Sie stiegen ans Land, eroberten es und nahmen es zu ihrem Eigentum. So waren die Fremdlinge die Herren, und das Volk musste ihnen dienen in harter Fron. Unersättlich war ihre Macht, sie kamen bis an die Ruhr und hin zur Lenne und wollten ganz Germanien gewinnen. Unter denen, die zur Fron gerufen wurden, war auch ein hochgewachsener Bursche. Er war von gutmütiger Art und besaß die Kraft eines Riesen. Daher hieß er insgemein der starke Hermann. Als der Arbeitstag kam und die übrigen Fronleute schon lange in der Scheune beim Dreschen waren, lag der Hermann noch auf dem Stroh und schnarchte. Als die Fremdlinge ihn darum schalten, lachte er und sagte, er wolle gar bald die hundert Fuder unter dem Flegel haben, er ganz allein. Gesagt, getan. Hermann drehte neun Wagenseile zu einer Schlinge zusammen, band sie an einen Wiesenbaum und hing eine Ackerwalze daran. Mit diesem Flegel machte er sich an die Arbeit. Er schlug aber mit solcher Kraft, daß die Pfannen vom Dach flogen. Um die Mittagszeit waren die hundert Fuder säuberlich gedroschen, und das Stroh lag in riesengroßen Haufen aufgeschichtet. Zum Lohn hatte er sich einen Karren voll Stroh ausgedungen. Er lud den Karren aber so hoch, daß ihn zwei Ochsen nicht zu ziehen vermochten. Da riss er die Zugseile ab, als zupfe er an einem Zwirnsfaden, warf die beiden Ochsen oben auf das Stroh und zog den Karren fort, als wäre es eine kleine Mühe. Das sahen die Römer mit Grimm, und sie wären seiner gern ledig gewesen. Darum sagten sie am andern Tage zu ihm: »Geh hinab zum Brunnen! Er ist voller Unrat. Du sollst ihn säubern, also daß du dein Nachtessen wohl verdienst!« Der starke Hermann stieg in den Brunnen hinab. Der war aber bei fünfzig Klafter tief. Schnell eilten die Feinde herbei, und sie warfen schweres Gestein auf den armen Tropf. Der aber wurde nur ein wenig unwirsch und rief: »Verjagt doch die Hühner, die in ihrem Unverstand den Dreck wieder hineinscharren!« »O weh!« dachten die Römer, »hat er doch ein Fell! Dann sollʼs ihm anders treffen!« Sie rollten den großen Viehtopf heran und stürzten ihn herunter und erhofften, daß jetzt der Knecht erschlagen werde. Aber der starke Hermann lachte und vermeinte, daß man einen Scherz getrieben habe. Nachdem er seine Arbeit zu Ende gebracht hatte, kletterte er wieder zu Tage. Es war dies ein wenig mühevoller als vordem das Hinabsteigen, denn die Feinde in ihrer Arglist hatten die Leiter herausgezogen. Als der starke Hermann wieder in freier Luft stand, sah er die feigen Gesellen über den Acker flüchten. Er lief ihnen nach, ereilte sie alsbald und, als sie in ihrer Todesangst um Gnade flehten, sah er verwundert an und vermerkte mit Lachen, er sei doch des Scherzes gewohnt. Aber nun wolle er vespern, denn die Kühle des Brunnens habe ihn hungrig gemacht. Da mussten sie ihm einen fetten Ochsen braten. Der starker Hermann tat sich gütig daran und ließ nicht einmal einen Knochen zurück. Darauf schickten ihn die Römer mit heimliche Tücke in die Mühle. Sie lag am Wasser im Teufelsgrund und hieß im Volk die Teufelsmühle. Denn um Mitternacht trieben hier die Teufel ihr Wesen, und seit man einen Müllerburschen tot auf dem Mahlstein gefunden hatte, wollte niemand mehr die Räder laufen sehn.
Der starke Hermann griff mit jeder Hand sieben Säcke voll Korn und trug sie zur Mühle und tat also siebenmal und war unverdrossen dabei. Noch vor Mitternacht hatte er alles Korn zu Mehl gemahlen, und es stand bereits in vielen Säcken wohlverwahrt. Der Mond blinkte durchs Gebälk und sah den Müllerburschen an, der verschlafen auf einem Mahlstein saß. Da brach plötzlich eine Tür aus, und herein sprang ein großer, schwarzer Teufel und
hinter ihm drein das ganze Gesindel der Hölle. Nun begann einwüstes Tanzen und Jaulen und Pfeifen. Und mitten in den Spektakel sprang der große Teufel, das war der Satan selber.
Als einer der Teufel dem starken Hermann mit dem Schwanz unter die Nase fuhr, ergriff der Knecht das falsche Gelichter, warf es in einen leeren Mehlkasten und schlug den Deckel darauf. Dann setzte er sich auf den Kasten und rauchte sein Pfeifchen. Indes schrie der Teufel in der Kiste jämmerlich, denn der Deckel hatte seinen Schwanz festgeklemmt. Doch Hermann gedachte nicht, den Bösewicht zu befreien.
Nun aber fing die sündhafte Gesellschaft an, in die Mehlsäcke zu greifen und sich bei ihrem wüsten Treiben mit dem köstlichen Mehl zu werfen. Da riss dem starken Hermann die Geduld. Er sprang auf, holte zuerst den gefangenen Teufel aus der Kiste und schleuderte ihn gegen die Bretterwand, also, daß sie zersprang und der Höllensohn schnurstracks in den Mühlenteich fiel. Dann ergriff er mit jeder Hand eine der schwarzen Fratzen und schickte sie durchs Dach, damit sie zur Hölle fahren sollten. Nun nahm er einen Prügel und schlug auf die Satansbrut los, wo er sie traf, daß sie mit Stinken und Heulen davon stob. Den letzten Teufel aber erwischte er beim Kragen, fetzte ihn auf den Mühlstein und schliff ihm ein Bein ab. Dann warf er ihn zur Mühle hinaus und das Bein ihm nach. Der starke Hermann musste glauben, daß er nun Ruhe haben wurde. So legte er sich aufs Stroh, schlief sorglos ein und schlief die ganze Nacht. Die Römer dachten bei sich, daß der starker Bursche umgebracht sei in der Nacht. Aber es fuhr sie ein großer Schrecken an, als er am anderen Morgen zurückkam, wohlbehalten, und im Arm trug er ein paar Dutzend der schwere Mehlsäcke, als wärʼs ein Spielzeug für ihn. Er erzahlte mit kargen Worten von dem Teufelsgesindel. Nur einen Kummer habe ihm die Nacht gebracht, dergestalt nämlich, daß bei dem Spuk sein Pfeifchen verloren gegangen sei. »Das hat einer von den Teufeln mitgenommen!« riefen die Römer. Willst du es nicht vermissen, so mach dich ohne Verzug auf den Weg zum Satansfeuer! Aber damit sichʼs verlohnt, bring einen Sack voll Gold mit, soviel du zu tragen vermagst!«
Der starke Hermann horchte auf und wollte wissen, wo der Weg beginne. Die Feinde vermochten kaum ihrer Schadenfreude Herr zu bleiben und wiesen ihn eilfertig in den schwarzen Bruch, all-wo er den Eingang zum Höllenweg nicht verfehlen könne. Er kam auch wirklich an die Höllentür. Sie glühte wie Feuer. Er trat so gewaltig zu, daß sie aufsprang. Dabei bekam ein kleiner Teufel, der wohl das Amt eines Torwächters versah, einen heftigen Stoß und einen greulichen Schrecken dazu. Denn als er des Eindringlings gewahr wurde, humpelte er schreiend in den Höllenraum und vermeldete, der grobe Müllerbursche sei leibhaftig da. Die Teufel sprangen heulend herum. Und als der starke Hermann näher kam, winselten sie vor ihm und zeigten sich gar unterwürfig. Denn der Prügel brannte ihnen noch auf dem Pelz.
Da fragte er in die Hölle hinein, ob einer der Satansknechte seine Pfeife gestohlen habe. Die ganze schwarze Gesellschaft legte sich aufs Leugnen. Als aber der starke Hermann drohte, er habe augenblicklich sein Pfeifchen, wo anders stelle er die ganze Hölle auf den Kopf, da kroch der einbeinige Teufel heran und gestand flehentlich seine Spitzbüberei. Der starke Hermann sah von oben herab auf die erbärmliche Kreatur, nahm sein Pfeifchen und trat den Teufel also fort, daß er kreischend durch die ganze Hölle flog. Da fuhr der Satan selber herzu und wollte den Burschen am Halse fassen. Der starke Hermann jedoch schlug ihm eins auf die Krallen, daß er wimmerte. »Gold will ich haben!« sagte der starke Hermann, »und sogleich! Diesen Sack voll Gold!« Und dabei wies er dem Teufel einen großen Bettsack, den er mitgebracht hatte. Der Teufel sagte zu, doch sollte Hermann zuvor ein Stückchen mit ihm um die Wette tun. Der Hermann warʼs zufrieden. Da holte der Teufel ein großes Jagdhorn herbei. Wenn der Hermann so gewaltig blasen könne wie er, der Teufel, solle er das Gold haben. Der Teufel blies in das Horn, und die Hölle erzitterte, und sechs Feuer erloschen zugleich. Dann nahm der starke Hermann das Horn und blies hin ein, aber es war so gewaltig, daß das Horn zersprang, und dem Teufel flog ein schweres Stück gegen den behörnten Kopf, daß er schrie. Und es wurde mit einem Schlag dunkel in der Hölle. Denn hundert Feuer waren von dem Sturme erloschen. Der Teufel hatte die Wette verloren. Der starke Hermann packte den Bettsack voll mit Gold und ging. Die Römer entsetzten sich, als sie den starken Hermann sahen. So war ihm die Hölle gar unterlegen, und sie fürchteten, er werde sie allesamt erschlagen. Darum, als er einst im Walde schlief, zündeten sie rings um ihn herum ein großes Feuer an, also daß er elendig verbrennen sollte. Da erwachte der starke Hermann, und der Zorn kam über ihn. Er stand auf, raufte mit jeder Hand einen dicken Eichbaum aus und zog damit zu Felde. Die Feinde aber, als sie den wilden Gesellen sahen, entflohen. Doch der starke Hermann eilte ihnen nach und erschlug sie hin und her, daß ihrer nicht ein einziger übrig blieb. Und das Land war frei.
Anmerkungen
Die oben angeführte Überlieferung stellt wohl eine märchenhafte Version der »Hermannschlacht« dar. Zur Hermannschlacht siehe Sagen 41 und 64 Die Lenne mündet in Hagen-Garenfeld an der {{Straße|Ruhrtalstr. in die Ruhr. Klafter ist ein veraltetes Längenmaß von 1,7 Meter bis 3,0 Meter.
Mündung der Lenne in die Ruhr (WGS 84: 51.415187° 7.492461°)
Multimedia
Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.
Literaturnachweis
Kühn, 36–43
Hier finden Sie: Mündung der Lenne in die Ruhr (51.415187° Breite, 7.492461° Länge)
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Weitere Sagen aus Hagen.
Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.
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