Der scheewe Pape

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Schloss Horst Ostansicht

Vor vielen, vielen Jahren lebte auf dem Schlosse Horst ein Mann, der des Schloßherrn Rentmeister und willfährigster Diener war. Sein Körper war etwas verwachsen. Der weise Schöpfer hatte den Beamten gekennzeichnet, um alle, die mit ihm in Geschäften zu tun hatten, zu erhöhter Vorsicht zu mahnen.

Die Bauern, die nicht allzuweit vom Schlosse entfernt frei auf ihren Höfen schalteten und walteten, lieferten alljährlich beim Burgherrn freiwillig gewisse Naturalien. Dafür mußte er in unruhigen Zeiten die Bauernfamilien in seine sichere Wasserburg aufnehmen.

Die Bauern kannten den von Gott Gezeichneten und nahmen sich vor ihm in acht. Das konnte man am besten daran merken, daß sie ihn so unter sich spöttisch den »scheewen Paapen« nannten. Nur ein einziges Mal trauten ihm die sonst so vorsichtigen Bauern zu gut. Das mußten sie und ihre Nachkommen jahrhundertelang büßen. Es kam so: Der hinterlistige Rentmeister legte einem jeden zinszahlenden Landmanne ein Schriftstück zur Unterschrift vor. Gleichzeitig erklärte er, in dem Schreiben sei festgelegt, daß jeder Bauer, der dem Hause Horst bislang Naturalien (Korn, Vieh, etc. , D. S.) geliefert und Dienste geleistet habe, frei sein solle, wenn er zehn Jahre hindurch die Gefälle und Dienste verweigere.

Da die gedachten Leistungen besonders in den zur Zeit herrschenden Kriegs- und Hungerjahren die Bauern schwer drückten, freuten sich letztere über die Maßen. Die Freude ließ sie auch dem scheewen Paapen gegenüber die notwendige Vorsicht eine kurze Zeit außer acht lassen.

Das wurde ihnen zum Verhängnis. Da die biederen Landleute nicht einmal des Lesens und Schreibens kundig waren, untermalte im guten Glauben jeder mit den üblichen drei Kreuzen die für ihn bestimmte Urkunde.

Der Falsche hatte die Unvorsichtigen jedoch arg hintergangen. Den wichtigsten Teil des Inhaltes der Urkunde hatte er ihnen verschwiegen. Der Vertrag bestimmte, daß jeder Zinsbauer vom freien Hofbesitzer zum Kolon (Pächter; D. S.) herabsinken solle, falls er zehn Jahre lang die bisher üblichen Gefälle (Abgaben, D. S.) nicht abführe und die Dienste nicht leiste.

Die Bauern waren unbesorgt und lebten froh in den Tag hinein. Das dicke Ende kam aber noch. Als die zehn Jahre verflossen waren, teilte der Rentmeister den Ahnungslosen mit, daß sie sich laut Vertrag nunmehr als Eigenhörige des Hauses Horst zu betrachten hätten. Sie seien »frei« geworden:, denn ihre Höfe seien in den Besitz des Schloßherrn übergegangen, der sie ja auch durch den Verzicht auf die Abgaben der letzten Jahre gleichsam erworben habe. Wer den Hof noch weiterhin bewirtschaften wolle, müsse sich als Erbpächter betrachten und von Stund an dem Grundherrn wieder regelmäßig auf Martini eines jeden Jahres die allerdings in etwa erhöhten Gefälle abliefern usw.

Die Hintergangenen fingen jetzt zwar an zu toben und zu schimpfen. Es half ihnen aber nichts. Was einmal geschrieben war, blieb geschrieben. Einzelne besonders aufgeregte Bauernfrauen fluchten dem scheewen Paapen. Der Fluch ging in Erfüllung. Nachdem der Betrüger eines qualvollen Todes gestorben war, sahen ihn die Bewohner der Herrlichkeit Horst allnächtlich während der Geisterstunde in Gestalt eines großen, schwarzen Hundes das Schloß verlassen. Mit glühenden Augen, lechzender Zunge, struppigem Haar und eingezogenem Schwarze eilte er über die Höfe der durch ihn geschädigten Bauern. Schweißtriefend und in eine Dunstwolke gehüllt, kehrte der unheimliche Geselle regelmäßig zum Ausgangsorte zurück. Seit Aufhebung der Eigenhörigkeit, nachdem also die Bauern wieder freie Herren ihrer freien Höfe geworden waren, hat man den rätselhaften Hund nicht mehr gesehen.

Anmerkung

Zu Schloss Horst siehe die Anmerkung zur vorangehenden Sage. »Scheever Pape“ bedeutet wohl »schiefgewachsener Dienstmann“ (Pape = Page = Diener oder Dienstmann). Ein Rentmeister verwaltete grundherrschaftliche Einnahmen. Ein Zinsbauer war ein Höriger, also ein vom Grundherrn abhängiger Bauer, der zur Leistung von Abgaben, nicht aber zur Fronarbeit auf den Gütern des Grundherrn verpflichtet war. (Hier ist die Sage hinsichtlich der Begriffsverwendung unpräzise.) Martini bezeichnet den 11. November, den Tag des heiligen Martin von Tours, der – wie bekannt- einem nackten Bettler am Stadttor von Amiens (Frankreich) die Hälfte seines Mantels schenkte.

Schloss Horst (WGS 84: 51.536433° 7.026229°)

Literaturnachweis

  • Kollmann, 53-55 nach: Wilhelm Hellwig, Zur Geschichte der Leibeigenschaft . . . in der früheren Herrlichkeit Horst, (Gelsenkirchen-) Buer, o. J. ; in Am. verwendete u. weiterführende Lit. : ebd.


Hier finden Sie: Schloss Horst (51.536433° Breite, 7.026229° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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