Der letzte Pferdefänger im Emscherbruch

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Emscherbruch Wildpferd

Nördlich von Essen fließt der Emscherfluß. Auch an seinen Ufern wohnt die Industrie. Mit ihrem rauchgeschwärzten Angesicht schaut sie in die Wasser nieder und treibt diese mit geschäftigen Händen zu raschem Wandern an. Und Sie eilen dahin in schnellem Lauf.

So war es nicht allezeit. Früher schlichen sie langsam und träge ihren Weg, überschritten links und rechts die ebenen Ufer und bildeten so ein sumpfiges Land. Das war das große Emscherbruch. Es erstreckte sich meilenweit und bot ein wechselvolles Bild von Hochwald und Gestrüpp, von Wiesengrund und Heide.

Eine weihevolle Stille lag über dem ganzen Gebiet, nur aus dem Innern klang das Gewieher der wilden Rosse. Sie lebten rudelweise wie das Rotwild hier zusammen und stürmten, aller Fesseln bar, durch die weite Wildnis dahin. Es waren stolze Tiere von starkem Wuchs, die man allerwärts schätzte und begehrte. Sie gehörten größtenteils den benachbarten Gütern und Gemeinden, und auch die Orte Borbeck und Altenessen, Karnap und Horst sowie das Stift zu Essen und das Waisenhaus zu Steele nahmen teil daran und hatten deshalb ihre besondere Pferdegänger oder »Pferdestricker«.

Der letzte und bedeutendste unter ihnen war Bernhard Großfeld. Von ihm erzählt die Sage, er sei stark gewesen wie das stärkste Pferd. Manches wilde Roß hatte seine sichere Hand gezügelt und für den Menschendienst gezähmt. Nun ging er wieder einmal auf den Fang. Er verfuhr dabei nach der Sitte seiner Zeit und wählte sein Versteck in einem alten, starken Baume. Hoch oben in der Krone baute er sich einen halbverdeckten Sitz, von dem er die ganze Gegend überschauen, selbst aber nicht gesehen werden konnte. Dann zog er seinen Lasso hervor, um ihn an einem starken Aste zu befestigen. Er tat es aber nicht, sondern achtlos, ohne selbst darum zu wissen, band er sich statt dessen den Strick um seinen eigenen Leib. Dann legte er die Schlinge zum Wurf bereit und wartete so auf seine Beute. Endlich war sie in Sicht. Fernher aus den Weidengründen zog ein ganzes Rudel heran. Vorn auf schritt das Leitpferd und hinter ihm her in gerader Linie eines nach dem anderen, ihrer zwanzig Stück. Sie kamen immer näher. Plötzlich stutzten sie und hoben ihre Köpfe, als witterten sie Gefahr. Schon manchen ihrer freien Waldgenossen hatten sie in Fesseln fallen sehen. Das zwang zur Vorsicht. Aber ringsumher blieb alles still, und sie überwanden ihre Scheu und schritten sicher und sorglos ihrem gewohnten Standort zu.

Und droben im Baume lauerte mit vorgeneigtem Kopf der Pferdesticker. Seine Augen weiteten, seine Sehnen spannten sich. Nun war es Zeit. Wuchtig und in großem Bogen sauste die Schlinge durch die Luft. Erschrocken und mit lautem Gewieher stob das Rudel auseinander und verschwand im nächsten Augenblick. Nur ein starker Rappe blieb. Der Lasso hatte ihn getroffen, und in wildem Trotz bäumte er sich auf gegen seine Fessel.

Vergebens! Er ward nicht frei von ihr. Da senkte er den stolzen Kopf, spannte alle seine Muskeln an und holte aus zum Lauf. Da wurde der Pferdestricker seinen Irrtum erst gewahr. Er wußte kaum, wie ihm geschah. Wie der Blitz flog er vom Baume herunter, und dann begann eine tolle Jagd. Das wilde Roß stürzte in rasender Eile dahin und schleifte hinter sich her seinen Feind und Bändiger – weiter – immer weiter! Er hätte sich befreien können, aber er tat es nicht. Koste es, was es wolle! Die Beute mußte ihm verbleiben. Mit aller Gewalt suchte er das Tier zu halten; es gelang ihm nicht. Seine Hände griffen links und rechts jeden Halt am Wege. Umsonst! Baum und Strauch blieben samt der Wurzel in seine Hand, und weiter ging der rasende Ritt durch Wasser, Wald und Wiese, durch Strauchwerk und Gebüsch mitten in die Wildnis hinein. Stundenlang hatte er schon gewährt. Da endlich ließ die Kraft und Schnelle des Wildlings langsam nach. Der Pferdestricker schwang seinen Arm um einen Erlenbaum, und der Rappe stand, schweißtriefend und über und über mit Schaum bedeckt.

So hatte er seinen Meister doch gefunden. Der aber sah recht übel aus. Seine Kleider waren zerfetzt, sein Körper zerschunden und mit Staub und Blut bedeckt. Er achtete dessen nicht. Triumphierend klopfte er dem Tiere auf den Hals: »Nun habe ich dich doch bezwungen!« Sprachs, schwang sich auf des Rosses Rücken und ritt als stolzer Sieger heim.

Anmerkung

Bernhard Großfelds letzte Ruhestätte liegt mitten im ehemaligen Emscherbruch an der Bleckkirche (siehe Sage 41). Die erstmals in römischen Quellen im 1. Jahrhundert schriftlich erwähnten Wildpferde im Emscherbruch wurden wie folgt gefangen: Unter den Bäumen im Emscherbruch legten die Helfer der Pferdestricker Futter aus. Auf den Bäumen saßen die Pferdestricker, die lange Stricke mit Schlingen an starken Ästen befestigt hatten. Wenn die Tiere fraßen, wurden ihnen von oben die Schlingen um die Hälse geworfen. Mit den Helfern, die aus ihren Verstecken kamen, wurden die Pferde gebändigt und zu den Koppeln und gesicherten Weiden geführt, um ein Ausbrechen zu verhindern. Später wurden die Tiere als Acker-, Karren- oder Reitpferde verkauft. Pferdemarkt war in (Herne-) Crange zwischen der Ruine von Haus Crange (westlich neben Altcrange 3) und der heute evangelischen meist geschlossenen Laurentiuskapelle (An der Cranger Kirche) am 10. August. Aus diesem ursprünglichen Pferdemarkt ist die weithin bekannte Cranger Kirmes hervorgegangen. Borbeck, Altenessen, Karnap, Horst sind Stadteile von Essen. Zum Stift Essen siehe Sage 21. Das Steeler Waisenhaus, eine Stiftung von Franziska Christine, der Fürstäbtissin von Essen, liegt an der Steeler Str. 642 in Essen.

Bleckkirche (WGS 84: 51.54175° 7.110783°)

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Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.


Literaturnachweis

  • Vos/ Weinand, 1914, 65ff. (Devens, Das deutsche Roß, 24); in Am. verwendete u. weiterführende Lit. : Viehweger, 100, 110f.


Hier finden Sie: Bleckkirche (51.54175° Breite, 7.110783° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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