Der Städtekrieg mit Ruhrort (Mülheimer Fassung)

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Mühlheimer Rathausturm

Die Mülheimer erzählen aber also: Die Ruhrorter wollten einst ein neues Rathaus bauen. Als sie bis zur Höhe des Dachgesimses gekommen waren, iel ihnen ein, daß ihnen noch das Holz für den Dachstuhl mangelte. Sie wandten sich an die reichen Duisburger, ihre nächsten Nachbarn, mit der Bitte, ihnen doch einiges Holz aus ihren reichen Waldesbeständen zu überlassen. Die Duisburger kannten ihre Nachbarn und beantworteten nicht einmal ihren Bittbrief. Da entsannen sich die Ruhrorter der Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft der Mülheimer, die eine Wegstunde oberhalb an dem Ruhrflusse wohnten. Die Mülheimer gingen bereitwillig auf die Wünsche der Ruhrorter ein und versprachen, die Balken in kürzester Zeit zu liefern. Sie würden an einem bestimmten Tage die Balken in die Ruhr werfen, damit der Fluß sie nach Ruhrort treibe. Drei Mülheimer Schöffen sollten dann in Ruhrort mit drei Stadtherren von dort das Anschwemmen des Holzes überwachen, Rechnung aufstellen und die Schuldsumme unmittelbar an der Ruhrorter Stadtkasse in Empfang nehmen. Am besagten Tag warteten die Herren auf das Anlaufen des Holzes – aber nicht ein einziger Balken kam ihnen zu Gesichte. Enttäuscht zogen die Mülheimer mit leeren Geldkatzen wieder ab. Die Ruhrorter hatten auf eigenen Vorteil gesonnen und fünf Kloster oberhalb der verabredeten Landungsstelle hinter einer Krümmung der Ruhr ihre Stadtknechte aufgestellt. Die hatten alle Stämme aufgefangen und versteckt gehalten, bis die Mülheimer abgezogen und die Nacht hereingebrochen war. Dann leiteten sie das Holz in die Stadt hinein, wo die Ruhrorter Stadtherren mit Luchsaugen aufpaßten und sich unsäglich über die Schlauheit der Mülheimer und ihren eigenen Vorteil freuten. Die Mülheimer forderten vergeblich Schadenersatz. Vergeblich wiesen sie darauf hin, daß sie ihre Balken alle mit einer bestimmten Kerbe versehen hätten und sie aus Tausenden heraus erkennen würden. Die abgefeimten Ruhrorter gaben ihnen zu wissen, das könne jeder sagen, errichteten mit dem erbeuteten Holze lustig den Dachstuhl und glaubten mit dem Dachschindeln ihre Meintat zugedeckt zu haben. Die Mülheimer dachten auf Rache und sandten nach einiger Zeit zu den Ruhrortern einen Boten mit einer Liste von Stadtherren und angesehen Bürgern Ruhrorts, die alle gebeten wurden, zu der Einweihungsfeier eines großen Badeplatzes an der Ruhr zu erscheinen. Es waren genau so viele Gäste, wie die Mülheimer Balken nach Ruhrort geliefert hatten. Die Ruhrorter, froh, auf eine billige Weise einen lustigen Tag an Mülheimer Tischen verprassen zu können, sagten alle zu. So erschienen sie denn, eine geputzte, stattliche Schar, am Festtage in Mülheim, wo sie von den gesamten Mülheimer Ratsherren in Empfang genommen und an die Festtafeln geleitet wurden. Pauken und Trompeten erklangen, die Sonne schien warm über Gerechte und Ungerechte, und kein Ruhrorter dachte mehr an die Balken im Dachstuhl ihres Rathauses. Die Tische bogen sich unter der Last der aufgetragenen auserlesenen Speisen und Getränke. Doch die Gäste gingen den aufgefahrenen Speisen mit furchtbarer Entschlossenheit zu Leibe und waren gegen Ende des Festmahles in eine so lustige Stimmung geraten, daß sie in einem fort Brüderschaften tranken und immer wieder den Kehrreim des Liedes wiederholten: »Närges su schön es in Möllem!« Nach aufgehobener Tafel begaben sich die Mülheimer und Ruhrorter Herren an den Strand der Ruhr, um die Eröffnung des Bades vorzunehmen. Es war ein heißer Tag. Was wunder daher – als der Mülheimer Bürgermeister aus froher Unterhaltung heraus vor

schlug, die Ruhrorter möchten als vielliebe Ehrengäste das Bad zuerst benutzen; da fuhren alle wie auf Erlösungsruf aus ihren Wämsern und Hosen und stürzten sich gleich einer Schar schnatternder Gänse in die kühle Flut. Es war ein köstliches Bad, das viele Köpfe klarer machte. Als nun die Herren wieder in ihre Kleider glitten, auch bereits das Unterzeug angelegt hatten, vermißten sie alle, einer nach dem anderen, ihre festtäglichen Samthosen. Die Mülheimer Herren aber wußten, wo sie geblieben waren; denn sie hatten schon vor dem Feste ihren Stadtknechten Befehl gegeben, dieses für das anständige Leben so notwendige Kleidungsstück den Ruhrorter Herren wegzunehmen, wenn sie sich im Bade ergötzten. Vergeblich forderte der Ruhrorter Bürgermeister Rückgabe der verschwundenen Kleidungsstücke, vergeblich wiesen die Großen und Kleinen, die Beleibten und Mageren darauf hin, daß sie ihre Hosen aus tausend anderen heraus erkennen würden, weil sie für ihren Leibesumfang eigens gekerbt und geschnitten seien. Die Mülheimer machten steinkalte Gesichter zu solchem Gezeter, zuckten mit den Achseln und bemerkten, das könne jeder sagen. Nun erschienen die Stadtknechte mit ihren Hellebarden, drängten die bis auf ein Kleidungsstück völlig bekleideten Ruhrorter in Reihen, und es setzte sich ein großer Zug in Bewegung. Voraus junges und altes Mülheimer Volk mit wogendem Lachen und wechselndem Geschrei, dahinter die Stadtmusikanten mit Trompeten, Pauken und Zinken. Im Kern des Zuges schritten die Ruhrorter Gäste mit traurig hängenden Baretten, scheuen Augen und schief gezogenen Mäulern. Sie würden die Fäuste geballt haben vor Wut, wenn sie ihre beiden Hände nicht nötig gehabt hätten, ihre untere Gewandung zu halten. Der Mülheimer Rat aber folgte im Schmucke der Amtsketten würdevoll hinter den Ruhrortern; aus den Augen der Ratsherren leuchtete das Behagen über die gelungene Vergeltung. So wälzte sich der Zug durch Mülheim und Saarn über Duisburg zur Ruhrorter Grenze. Voraus aber wurde ein Schild getragen mit der Inschrift:

Nu sü'sche die Ruhrorter Schepen an;

Se kommen ohne Bucksche van Möllem und Saan! Un frögste: »Wie üs das gekumme?« Ick segg'sche: die Bucksche sind gewiß Us Balkes nohgeschwumme!

(Nun sieh dir die Ruhrorter Schöffen an; Sie kommen ohne Hosen von Mülheim und Saarn! Und fragst du: »Wie ist das gekommen?« Ich sag' dir: Die Hosen sind sicherlich Unseren Balken nachgeschwommen!« D. S.)

Literaturnachweis

  • Broermann, 109f.




Weitere Sagen aus Mülheim an der Ruhr.

Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





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