Der Schatz im Forst

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Eichenwald

In den großen Waldungen am linken Ufer der unteren Lippe bei Wesel gibt es in einem staatlichen Forste inmitten eines achtzig- bis hundertjährigen Eichenholzhochwaldes einen uralten Baumriesen, der im Volksmund den Namen Femeiche führt. Kein Mensch kennt das Alter des Giganten, der als ein Naturdenkmal vergangener Zeiten in die Gegenwart hineinragt. Voll geheimen Grauens durchschauert es den Waldgrund, wenn allabendlich die Eulen, die lichtscheuen Bewohner der Astlöcher dieser Eiche, der Welt verkünden, dass sie ausgeschlafen haben und der nächtlichen Nahrungssuche nachzugehen gedenken.

Huhuhuuuui! Huhuhuuuui! Du kennst den Ruf. Hörst du sie heulen? Wie’s schauerlich durch die Gipfel dringt! »Vater was ist das?« fragt angst beklommen der kleine Bauernbursch seinen Vater, den er bei einem Ausgange begleitet.

»Komm schnell«, sagt der, »dass wir vor der Dunkelheit aus dem Forste sind, dort spuken die Seelen vom alten Grafenschlosse.«

Eilends schreiten die beiden fürbass. Endlich haben sie die Lichtung erreicht; nun den Waldwiesenweg. Gott sei Dank! Da dehnt sich im Mondenschimmer das weite Feld. Einstens, so berichtet der Vater mit zitternder Stimme, stand dort in uralten Zeiten ein stolzes Grafenschloss. Aber die Herren waren dem Bösen verfallen, trieben es toll mit den armen Bauern, bis in einer furchtbaren Gewitternacht ein himmlisches Feuer die Burg und ihre Bewohner fraß. Nur jener dicke Eichenbaum ist übrig geblieben, den man jetzt die Femeiche nennt.

An diese Örtlichkeit lehnt sich eine prächtige Sage an, die nur noch selten im Volksmund eine Heimstätte hat. Ich habe sie einstens bei einer Jagd aus dem Munde eines alten Waldbewohners vernommen und will sie nun hier niederlegen. In der Zeit, als noch das Grafengeschlecht auf dem Gipfel seiner Macht stand, gab es unter den Waldarbeitern einen Mann, der in dem Verdachte stand, ein abgefeimter, schlauer Wilddieb zu sein. Er fing sowohl Fische als auch Wild des Grafen, gerade wie es ihm beliebte.

Einstens hatte er beim Fällen alter Bäume ein merkwürdiges Glück. Eine uralte Eiche riss beim Sturz eine mächtige Wurzel mit los, und dadurch wurde eine eiserne Kassette bloßgelegt, die beim Öffnen einen unendlichen Reichtum aufwies. Nach Gesetz und Recht hätte der Finder dem jungen Grafen Anzeige erstatten müssen. Aber er dachte nicht daran, seinen Schatz zu opfern, sondern beschloss vielmehr, den Fund zu verheimlichen. Da aber der Behälter so schwer war, dass er ihn nicht alleine wegschaffen konnte, so kam er nach langem Überlegen zu dem Entschlusse, sein Weib in sein Geheimnis einzuweihen und mit ihr abends den Schatz zu bergen. Nur ein wunder Punkt war bei diesem Unternehmen. Das Weib schwatzte wie ein Rohrspatz, und es musste schon der reine Zufall walten, wenn sie sich das Geheimnis nicht entschlüpfen ließ. Da kam ihm ein rettender Gedanke. Als er seine Mittagsmahlzeit gehalten hatte, sah er die gestellten Schlingen nach. Richtig, in einer von ihnen hing ein Hase. Er löste ihn aus und nahm ihn mit sich. Als er an den Rand des Weihers kam, saß da in einem Fangnetz ein großer Hecht. Er zog ihn ans Land, steckte den Hasen in das Netz und legt es wieder ins Wasser. Den Hecht aber schob er in eine Hasenschlinge im Gebüsch.

Am Spätnachmittag, als er zu seinem Weibe heimkam, weihte er es in seinen Fund ein. Die Frau gelobte Schweigen. Als die Sonne zur Rüste ging, machten sich beide auf den Weg zum Walde. »Wollen noch einmal das Klebgarn nachsehen«, meinte der Mann unterwegs. Er zog es heraus. Da saß ein Hase darin, und das Weib wusste sich vor Erstaunen kaum zu fassen. »Gehen wir auch einmal zu den Hasenschlingen!« sagte er wiederum. Da hing ein Hecht in der Hecke. Neue Verwunderung der Frau. Endlich kamen sie beide zu der Stelle, wo der Schatz lag. Glücklich hoben sie ihn. Auf Schleichwegen und wohlbekannten Wilddiebpfaden suchten sie am Grafenschlosse vorbei der eigenen Stätte zuzustreben. Am Schlossberg meckerte eine Ziege durch die Nacht, und das Echo gab meckernd Antwort. Das ängstliche Weib fragte hastig: »Mann, was war das?« »Das da, das ist der alte Herr Graf, der hier spukt der ruft: »Mee ock wat, Mee ock wat.« (Mir auch etwas.) Der hat vielleicht den Schatz dort unter der Eiche vergraben und will jetzt etwas davon mithaben.«

Das Weib sprach kein Wort mehr. Die Angst trieb sie zu immer schnellerer Gangart an. Wohlbehalten kamen sie schließlich in ihrem Wohnhaus an. Der Mann nahm behutsam die Kassette mit dem Gelde an sich und befahl seiner Frau, für ein gutes Abendessen zu sorgen. Als sie fort war, verbarg er unbeobachtet den Schatz im Heuschober.

Wie der Mann geahnt hatte, so kam es auch. Singend und jubelnd fand am nächsten Tag die Nachbarin die Frau beim Fensterputz »Was ist denn nur los, Kathrin: du machst ja ein fröhliches Gesicht, als ob die ganze Welt von Zucker wäre?« »Ja«, sagte sie darauf, »von Zucker freilich nicht, für mich aber von Gold. Ich darf’s dir nur nicht erzählen. Mein Mann hat mir’s verboten.« »Was der dir aufbindet, brauchst du mir nicht zu sagen«, meinte die Nachbarin. »Dir nicht?! Ja, du würdest Augen machen, wenn du das alles wüsstest. Ich war dabei, und da muss es doch wohl wahr sein. Aber wenn du gewiss nichts sagst, es bestimmt für dich behältst, könnt’ ich es im Vertrauen dir wohl erzählen. Aber gewiss darfst du auch gar nichts anderen sagen.«  »Buuuu. Ich verrat’ dich doch nicht!« »Na, hör’ mal, - - gewiss behältst du es doch nur für dich - - mein Mann hat - - - » und nun wurde haarklein das ganze Geheimnis zum besten gegeben. Die Nachbarin hatte nach dieser Erzählung keine Zeit mehr. Unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit erzählte sie alles der Gevatterin, diese ihrer Tochter, die ihrem Schatz, dem Knechte vom gräflichen Gute, der wieder dem Verwalter, dieser teilte es schließlich dem jungen Herrn Grafen mit. Anfangs lachte der Graf über den Spaß. Da die Geschichte ihm aber immer wieder vorgetragen wurde, dacht er: du musst doch selbst einmal Nachfrage halten. So sprach er denn an einem Sonntagnachmittage beim Holzhauer vor. Auf seine Frage sagte der Mann: »Ich weiß von nichts.« Sie aber wollte und konnte nicht die Unwahrheit sagen, sondern sprach: »Ja, es ist so, wie ihr sagt, Herr Graf. Mein Mann weiß auch davon.« Hin und her flogen die Reden. Die Frau aber blieb fest und beteuerte, dass alles so sei, wie der Herr Graf es schon wisse. Schließlich wird der Mann zornig und sagt zu seiner Frau: »Die scheint es nicht mehr recht klar im Oberstübchen zu sein. Erzähle doch einmal dem Herrn Grafen den Hergang der ganzen Geschichte, wenn du alles so genau weißt.« Und nun fing sie an: »Wir kamen zuerst an das Klebgarn, da saß ein Hase drin. In einer Hasenschlinge war aber ein Hecht, und als wir mit der Goldkiste am Schloss vorbei wollten, da spukte Euer seliger Vater, Herr Graf, und rief immer: Mir auch etwas! Mir auch etwas!« »Verrücktes Weib!« - - - Krachend warf der Graf die Tür hinter sich ins Schloss. »Dachte ich es mir doch, dass so etwas herauskommen würde«, sagt er zu sich und wanderte beruhigt seinem Ahnenschloss zu.

Anmerkungen

Das linke Ufer der unteren Lippe bei Wesel ist auch heute noch von weiträumigen Grünflächen umgeben.

Literaturnachweis

  • Karl Heck, Heinrich Peitsch, Es geht eine alte Sage, Sagen, Legenden und Erzählungen vom unteren Niederrhein, Wesel 1967, S. 22-25




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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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