Der Raubritter von Mehr

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Wenn man die Landstraße von Mehr nach Mehrhoog entlang wandert, so gelangt man bald hinter dem Orte in ein anmutiges Wäldchen, das sich am Rande des »alten Rheins« vorbei zieht. Bald erblickte man zur Linken bis kürzlich noch auf einer kleinen Anhöhe eine sonderbar gestaltete Windmühle. Es war ein kleiner gedrungener Turm mit dicken Mauern. In seinem Innern waren noch die Spuren eines alten Wappens sichtbar. Die Einfahrt sowie einige Reste alten Mauerwerks ließen erkennen, dass an diesem Orte in alter Zeit ein großes starkes Bauwerk gestanden hat.

Die Sage erzählt, dass hier auf seiner trutzigen Burg vor vielen Jahrhunderten der gefürchtete Raubritter Kuno mit seiner lieblichen Tochter Hilde wohnte. Weithin erstreckten sich die Waldungen bis zu den Ufern des Rheinstroms, dessen Wogen damals unmittelbar am Dorfe Mehr vorbeirollten. Oft erklang der fröhliche Schall des Hifthorns durch das Dickicht, wenn Ritter Kuno seine Genossen zur Jagd geladen hatte. Die Bauern und Bürger der Umgegend hatten wenig unter ihm zu leiden, wenn die auch dem finsteren Ritter auswichen, wo sie ihm begegneten. Seine Tochter Hilde aber war weit und breit beliebt, da Arme, Schwache und Bedrängte an ihr stets eine mildreiche Helferin fanden.

Ein Schrecken aber war Kuno für die Kaufleute, die auf ihren mit mannigfachen Waren beladenen Schiffen den Rheinstrom hinauf und hinunter fuhren. Ein unterirdischer Gang nämlich führte von der Burg bis unmittelbar an den Strom. Sein Ausgang lag im Gebüsch versteckt. Hatte nun gegen Abend ein Schiff am Ufer angelegt, um den Morgen zur Weiterfahrt abzuwarten, dann überfiel Kuno mit seinen Getreuen die Ahnungslosen. Reiche Beute wurde oft durch den unterirdischen Gang zur Burg geschleppt, und der arme Kaufmann konnte froh sein, wenn er das nackte Leben rettete. Viele Verehrer fand Hilde, die liebliche Tochter des Raubritters, unter den rauen Gesellen des Vaters, aber keiner fand Gehör vor ihr. War sie doch von Herzen dem Ritter Heinrich zugetan, dessen Burg, von Wasser umgeben, einige Stunden stromabwärts lag.

Eines Tages nun begab sich Heinrich zu dem Vater und hielt um die Hand der Tochter an. Doch kaum hatte er begonnen, seine Werbung vorzubringen, da unterbrach ihn der Alte mit barschen Worten: »Schweigt, junger Fant! Euch meine Tochter? Wo denkt Ihr hin? Eines Herzogs ist sie würdig, nicht aber sollt Ihr armer Schlucker sie erhalten. Das schlagt Euch aus dem Sinn!« Furchtlos wollte Heinrich ihm widersprechen. »Schweigt, kein Wort weiter!« schrie Kuno ihn an, »keine Widerrede! Und nun geht!« Und als der junge Ritter sich immer noch nicht entfernen wollte, wies er ihm unter Schmähreden die Tür. Durch eine treue Dienerin verständigte Heinrich die Geliebte von dem Misserfolg seiner Werbung, und beide beschlossen, zu entfliehen. Einige Wegstunden weiter kannte Heinrich einen alten Pfarrer. Der sollte heimlich das junge Paar trauen. Dann würde der Vater sich ihnen nicht mehr widersetzen können. In einer finsteren Nacht verließ Hilde durch eine verborgene Pforte die Burg. Draußen harrte Heinrich mit seinem treuen Ross. Schnell hob er die Geliebte hinauf und fort ging es durch den dunklen Wald. Aber ihre Flucht ward zu früh bemerkt, und bald schon hörten sie den Hufschlag der Verfolger hinter sich. In ihrer Hast und Angst verfehlten die Fliehenden den Weg, und plötzlich standen sie am Ufer des hochgehenden Rheinstromes. Hinter sich hörten sie schon die Stimme Kunos. Da spornte Heinrich sein Ross. In hohem Sprung setzte es in den Strom hinab, und die Fluten schlugen über den Liebenden zusammen. Verzweifelt kehrte der unglückliche Vater auf seine Burg zurück. Ein Ende nahm jetzt das wilde Treiben, und bald schon starb er an gebrochenem Herzen. Die Burg zerfiel – aber die Bewohner der Umgegend erzählen, dass noch heute in stillen Nächten der Geist des Vaters durch die Ruinen wandere und um seine Tochter jammere.

Anmerkungen

Mehrhoog ist ein Ortsteil von Hamminkeln. Die Landstraße von Mehr nach Mehrhoog dürfte die Reeser Str. sein, die von einem westlichen Altarm des Rheins (Hagener Meer)nach Mehrhoog führt. Das Hifthorn ist ein kleines seit dem Mittelalter bekanntes Signalhorn. Als Stutzer (ähnlich, jedoch noch altertümlicher: Geck oder Fant) wird ein geltungssüchtiger (oft jüngerer) Mann bezeichnet, der mit übertriebener, affektiert wirkender Eleganz Aufmerksamkeit erheischt und sich dadurch in den Augen anderer mitunter lächerlich macht, ohne dies selbst zu bemerken. Siehe Wikipedia.

Raubritter Kuno soll auf Schloss Bellinghoven an der Bellinghover Str. 6 in Rees gewohnt haben. Schloss Bellinghoven entstand als Erdhügelburg mit Turm, die von einem Wassergraben umschlossen war. Sie wurde im 14. Jahrhundert von Dietrich von Bellinghoven als Wehranlage ausgebaut, die das umliegende Land schützen sollte. Es existiert eine Urkunde vom 20. Dezember 1325. Hierin bietet Ritter Dietrich von Bellinghoven dem Grafen Dietrich VIII. von Kleve das Schloss Bellinghoven als "Offenhaus" an - eine Einladung auf Lebenszeit. 1598 eroberten die Spanier die Burg. Ein Teil der Gebäude ging in Flammen auf. Anschließend baute man aus den Ruinen die Burg wieder auf. Es entstand Schloss Bellinghoven. Das Schloss präsentiert sich heute als gut erhaltenes Wasserschloss mit einem Wassergraben. Siehe Paul Sippel

Schloss Bellinghoven (WGS 84: 51° 44' 34.16" 6° 28' 54.93")

Literaturnachweis

  • Karl Heck, Heinrich Peitsch, Es geht eine alte Sage, Sagen, Legenden und Erzählungen vom unteren Niederrhein, Wesel 1967, S. 36f. (nach: Rheinischer Bote, 1919, Nr. 13)


Hier finden Sie: Schloss Bellinghoven (51.742822° Breite, 6.481925° Länge)

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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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