Der Mord am Gevelsberg und die Wundertaten nach dem Tod des Erzbischofs Engelbert von Köln

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Reiterstandbild des Bischofs Engelbert, Schloss Burg.

Vor mehr als 750 Jahren gab es die Stadt Gevelsberg noch nicht. Dichte Wälder wuchsen über die Berge bis ins Tal der Ennepe. Von Hagen nach Schwelm führte nur ein einziger, holpriger Fahrweg an den Hängen vorbei. Ganz wenige Bauernhöfe standen in der Einsamkeit. Vom Fuß des Gevelsbergs aus ging der Weg hoch zum Lindengraben, an wildem Gestrüpp und Brombeerbüschen vorüber. Oben wurde er an einer Stelle eng und schmal und zu beiden Seiten ragten hohe Böschungen auf.

An einem nasskalten Novembertag im Jahr 1225 ritt der Erzbischof von Köln mit einigen Begleitern auf diesen Hohlweg am Gevelsberg zu. Der Erzbischof war neben dem Kaiser der mächtigste Mann im Lande. Er kam heute von Soest, wo er einen langen Streit mit dem Sohn seines Vetters, dem Grafen von Isenberg, hatte schlichten wollen. Aber der Isenberger und manch andere Herren im Land hassten den Erzbischof, weil er sehr streng mit ihnen war und harte Strafen austeilte. Darum hatte der Isenberger sich für diesen Abend einen bösen Plan ausgedacht. Mit einigen bewaffneten Freunden war er auf Umwegen dem Erzbischof gefolgt. Als nun der Hohlweg erreicht war, gellte plötzlich ein schriller Pfiff durch die Dämmerung. Überall aus dem Gebüsch stürzten sich bewaffnete Ritter auf den wehrlosen Engelbert. Vor Schreck flohen dessen Begleiter. Mit 47 Dolchstößen und Schwerthieben wurde der wichtigste Mann im Lande getötet. Blutüberströmt lag er im Gebüsch, als im Dunkel der Nacht einige Begleiter zurückkamen, um nach ihm zu suchen.

Auf einem alten Bauernkarren brachten die Getreuen den Leichnam nach Schwelm. Im selben Haus, in dem Engelbert hatte übernachten wollen, wurde er nun aufgebahrt. Drei Männer wechselten einander bei der Nachtwache ab. Als Heinrich von Himmerode an der Reihe war, setzte er sich an die Seite des Toten und wagte nicht in sein Gesicht zu sehen. Zwei Kerzen erhellten spärlich den Raum, eine am Kopf des Leichnams, die andere zu seinen Füßen. Sie brannten still und flackerten nicht, obwohl durch Tür und Fensterritzen die feuchte Novemberluft zog. Murmelnd las Heinrich die Stundengebete der Heiligen Maria und immer aufs Neue wunderte er sich, dass ihn nicht das Grauen packte neben dem Ermordeten. Dann streifte sein Blick doch einmal über Engelberts Gesicht. Und da sah er – obwohl die Spuren des Verbrechens nicht weggewischt waren – so viel Frieden und gütige Ruhe in dessen Miene, als habe er selber den Mördern schon vergeben. Es müssen Engel in der Nähe sein, die ihn gnädig bewachen, dachte Heinrich, so wohl war mir noch nie bei einer Totenwache.

Voll Trauer stellte er sich vor, wie schändlich der unschuldige Erzbischof von seinen Mördern umgebracht worden war. Heinrich von Himmerode wollte aufstehen, um dem Toten ein ganz persönliches Gebet zu sprechen; weil er aber ein krankes Bein hatte und mit dem einen Fuß schlecht auftreten konnte, strauchelte er ein wenig. Dabei berührten seine Hände für einen Augenblick den bloßen Arm des Toten und von der selben Stunde an spürte Heinrich, wie sein Bein immer kräftiger wurde, wie er immer weniger hinken musste und wie es endlich ganz gesund wurde.

Das war nicht das einzige Wunder, von dem die Menschen nach Engelberts Tod erzählten. Bald nach dem Mord mussten in einer stürmischen und regnerischen Nacht der Schmied Walkuno und sein vierzehnjähriger Sohn Walram durch den Hohlweg. Rechts und links von ihnen knackte und raschelte es im Gebüsch; der Wind heulte zwischen den Bäumen hindurch und peitschte den beiden den Regen ins Gesicht. Kein Fetzen Helligkeit vom Himmel. So tasteten sie sich über Steine und Wurzeln den Hohlweg entlang.

Plötzlich packte der Junge den Vater am Arm und hielt den Atem an – und da sah es der Mann auch: Schräg über ihnen an der Böschung ragte hell eine brennende Kerze aus dem Boden und legte einen wunderbaren Lichtkranz um ihre Flamme. Und wie sehr es auch stürmte und regnete, die Kerze brannte still und ruhig. Walkuno und Walram knieten voll Ehrfurcht nieder und falteten die Hände. Am nächsten Tag erzählten sie in Schwelm dem Priester Bertold von ihrem Erlebnis und der sagte lächelnd: »Denkt nur, gestern sprach ich mit dem Mönch Ekbert aus einem Kloster bei Soest. Auch er hat bei seinem Weg hierher das gleiche Wunder gesehen.« Da errichteten die Menschen an der Mordstelle zuerst ein hölzernes, später ein schweres Steinkreuz, um jeden Wanderer und jeden Reisenden an den Erzbischof zu erinnern.

Wenn Gott diesen Ort ausgesucht hat, um die Menschen demütig zu machen, so sagten die Leute, dann soll hier ein Kloster gebaut werden, um die Mordtat zu sühnen. In dieser Zeit lebte in Meininghausen ein Bauer Erwinus. Er hatte eine Tochter Atzela, die so krank und schwach war, dass sie nicht mehr alleine gehen konnte. Bleich und blass war ihr schmales Gesicht und der Vater sah sie Tag für Tag schwächer werden. Da trug er das Kind eines Tages den Berg hinab, vorsichtig von Stein zu Stein, über Bäche und durch Büsche hindurch, bis er den Hohlweg erreichte. Am Kreuz kniete er nieder und legte die Hand des Mädchens an den rauen Stein: »Es sind schon viel Wunder geschehen an diesem Ort«, betete er, »lass nun auch hier mein Kind wieder gesund werden, o Herr. Andere Hoffnung habe ich nicht mehr. Ich will auch bis zu meinem Lebensende einen Scheffel vom besten Korn zu dem Kloster bringen, das hier gebaut werden soll; nur lass das Kind gesund werden!«

Still hockten beide am Kreuz und beteten. Und als der Vater aufstand, da erhob sich auch Atzela langsam und lächelnd. Alleine stand sie da und klopfte ein paar bunte Herbstblätter von ihrem Rock. Und als der Vater sie ansah, merkte er, wie wieder die Röte ins Kindergesicht stieg und die Blässe vertrieb. Hand in Hand gingen sie den Weg zurück, bergauf und bergab und Atzela fing leise an zu summen. Bald wurde das Nonnenkloster mit Hilfe vieler Menschen gebaut. An einem nassen Herbstabend klopfte ein Mönch an die große Holztür des Klosters. Er trug einen schwer verletzten Studenten auf seiner Schulter. »Gebt uns Obdach«, bat er, als eine Nonne öffnete. Der Student hatte eine tief klaffende Wunde am Bein. Er wurde gewaschen und verbunden und dann trat die Äbtissin Hildeburg – die Leiterin des Klosters – zu den Gästen. Als sie das schmerzverzogene Gesicht des jungen Mannes bemerkte, holte sie einen silbernen Becher, der mit Wein gefüllt war.

Sie sprach ein kurzes Gebet und reichte dem Studenten Goswin das Gefäß. Der trank es aus – und im selben Augenblick heilte die Wunde an seinem Bein zu. Nur eine Narbe war noch zu sehen, die aber nicht weiter schmerzte. Da erzählte die Äbtissin, dass dieser Becher dem heiligen Erzbischof Engelbert gehört hatte, aber niemand sagen könne, wie er in das Kloster gelangt sei. Seit dieser Zeit pilgerten viele Menschen zum Gevelsberg, um dort ein Wunder an sich zu erleben. Manche rührten mit ihrem erkrankten Körperteil an die Erde, die mit Engelberts Blut getränkt gewesen war; manche sangen lange Loblieder. Es kamen Gelähmte und Blinde, Taube und Fallsüchtige, ‚Menschen mit Ausschlag und Gicht, Schwache und Gemütskranke, Menschen mit Zahnweh und Wassersucht. Sie alle erwarteten Heilung. Und die Leute haben erzählt: Wer genug Glaubenskraft hatte, der konnte gesund werden.

Anmerkungen

Dass der mächtige Erzbischof Engelbert von Köln dort erschlagen wurde, wo heute die Stadt Gevelsberg liegt, das ist gewiss, denn es gab einen Mönch Cäsarius von Heisterbach, der den Mord nach Erzählungen von Augenzeigen beschrieben hat. Ein kurzes Stück des alten Hohlwegs kann man noch erahnen am Beginn der Straße »Alter Hohlweg«.

Was aber danach an seltsamen Wundertaten geschehen sein soll, ist für uns heute erzählter Aberglaube. Für die Menschen jener Zeit war das weltliche Leben wenig wichtig. Das Jenseits, die Welt nach dem Tod, war für gläubige Menschen damals das einzige Ziel ihres Lebens. Es war für sie und ihre lebhaften Wünsche sehr naheliegend, dass der mächtige Erzbischof aus dem Jenseits seine guten Kräfte wirken ließ. So entstanden eine Reihe wunderlicher Volkserzählungen.(Schmidt)

Schwelm ist die Kreisstadt im Ennepe-Ruhr-Kreis. Erzbischof Engelbert kam an der Straße Alter Hohlweg in Gevelsberg am 7. November 1225 gewaltsam zu Tode. An dieser Straße Ecke Elberfelder Str. sind noch Reste des einstigen Hohlweges erkennbar. Um 1235 wurde in unmittelbarer Nähe das Zisterzienserinnenkloster gegründet, das im 16. Jahrhundert in ein freiweltliches Damenstift umgewandelt worden ist. 1812 wurde es aufgehoben und 1827 abgerissen. Das Bruchsteinhaus in GevelsbergIm Stift 10 birgt noch zwei Meter starke Fundamente des zerstörten Klosters.

Oberhalb dieses Gebäudes wurde der ehemalige Kloster- und Stiftbereich neu gestaltet, um an die historische Stätte zu erinnern. Eine wohl ehedem zum Kloster gehörende romanische Statue Engelberts ist heute im Märkischen Museum in Witten, Husemannstr. 12 zu besichtigen. Eine weitere lebensgroße Holzplastik Engelberts aus dem Jahr 1730 ist im Foyer der Dom-Schatzkammer der Münsterkirche zu Essen an der Kettwiger Str. zu sehen. Weitere Sagen zu Friedrich von Isenberg finden Sie unter Hattingen eingetragen.

Alter Hohlweg, Gevelsberg (WGS 84: 51° 18' 39.14" 7° 19' 25.26")

Gevelsberg, Klosterfundamente (WGS 84: 51° 18' 50.89" 7° 19' 38.03")

Literaturnachweis

  • Renate Schmidt-V., Gustav-Adolf Schmidt, Sagen und Geschichten aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis, 2. Aufl. Schwelm 2001, S. 69-72


Hier finden Sie: Hohlweg bei Gevelsberg (51.310872° Breite, 7.323683° Länge)

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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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