Der Mönch und der Taufstein

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Liudger Offizium - Fragment aus der ehemaligen Benediktinerabtei Essen Werden (12. Jahrhundert)

Herbert Grönemeyer singt in seinem Lied »Bochum«: »Bochum, dein Grubengold hat uns wieder hochgeholt!« Auch wenn damit die historische Entwicklung gemeint wäre, hätte Grönemeyer völlig recht, denn die Steinkohlenzechen sowie die Eisen- und Stahlindustrie leiteten zur Zeit der Industrialisierung, die vor etwa zweihundert Jahren in Bochum, Wattenscheid und im gesamten Ruhrgebiet begann, eine zweite Blüte des heutigen Ruhrgebietes ein. Viele Menschen in Deutschland, darunter nicht wenige Wattenscheider, sind der Meinung, vor der Industrialisierung sei unsere Region sozusagen eine geschichtliche Wüste ohne Bedeutung gewesen, in der sich Fuchs und Hase »Gute Nacht« gesagt hätten. Das Ruhrgebiet hatte jedoch eine erste politische Blütezeit, und zwar schon tausend Jahre vor der Industrialisierung.

Damals, im Jahre 803, beendete Kaiser Karl der Große siegreich den etwa dreißigjährigen Krieg gegen die germanische Volksgruppe der Sachsen. Schon zu Beginn dieser Kämpfe hatte er ihren militärischen Hauptstützpunkt im Revier, die Sigiburg (Hohensyburg) im Dortmunder Süden erobert. Die auch im Ruhrgebiet siedelnden Sachsen hatten ähnliche religiöse Vorstellungen wie viele andere germanische Volksgruppen, die neben anderen den Gott Wodan verehrten. Im Auftrage Karls des Großen gründete Liudger, der später heilig gesprochen wurde, um 800 die sehenswerte Benediktinerabtei (Essen-) Werden als Bollwerk des Christentums und Zentrale der Sachsenmission.

Die Reichsabtei Werden entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Klosteranlagen im Reich und zu einem Ausgangspunkt der ersten Blütezeit des Reviers als Grenzgebiet zwischen Franken und Sachsen am Hellweg. Viele Königsaufenthalte in Dortmund und Duisburg zeugen von dieser für das Ruhrgebiet wichtigen Epoche. Das Symbol der Sachsen, das steigende weiße Pferd, überdauerte im Wappen Westfalens bis heute jene bewegten Zeiten, ebenso die folgende Sage:

In der alten Propsteikirche steht ein wuchtiger Taufstein, der wohl schon über tausend Jahre alt ist. Eine alte Legende erzählte dieses:

Dem Teufel wollte es gar nicht gefallen, dass die Bauern sich taufen ließen und Christen wurden. Besonders das Kloster Werden an der Ruhr war ihm ein Dorn im Auge. Also beschloss er bei sich, es zu zerstören.

Er schleppte keuchend einen großen Felsbrocken herbei, um ihn auf das kleine Kloster niederfallen zu lassen. Unterwegs traf er einen jungen Mönch, der von Wattenscheid nach Werden wanderte. Als der den Teufel sah, griff er nach dem Kreuz unter seinem Mönchsmantel und rief: »Im Namen Gottes, wirf den Stein fort!« Als Satan das Kreuz sah, fluchte er grimmig und schleuderte den Felsbrocken in die Richtung, wo das Kloster lag. Aber kraftlos fiel er vor der Ruhr auf einem Berghang nieder, die Platte genannt. Der junge Mönch setzte seinen Weg fort. Ludgerus, der Abt des Klosters Werden, ließ den Stein in den Klosterhof holen, und bald machte sich einer der Mönche mit Hammer und Meißel an die Arbeit. Aus dem Teufelsfelsen wurde ein Taufstein mit vier Bildnissen darauf und vier Löwenköpfen darunter.

Diesen Taufstein schenkte der Abt der Gertrudiskirche zu Wattenscheid, darin er noch heute steht. Der junge Mönch aber schenkte die Hälfte seines väterlichen Hofes in Wattenscheid der Abtei Werden zum Dank für die wunderbare Rettung des Klosters. » (Hüls,o. J.)

»Soll man der Legende glauben, so war der Künstler, der den Taufstein schuf, einer jener Männer, die während der Sachsenkriege Karls des Großen dem Kreuz und dem Könige getrotzt hatten, sich dann aber dem neuen »Heerkönig Christus« beugten und ihm auch im schlichten Gewande von Mönchen ihre Dienste liehen (und anbeteten, was sie verbrannt hatten).« Hüls, 1962

Die Freude der Wattenscheider über den neuen Taufstein währte nicht lange, denn eine Schar Germanen, die nicht den Christenglauben annehmen wollte und sich bisher in dichten Wäldern und tiefen Schluchten versteckt gehalten hatte, griff wenig später die kleine Kirche an. Sie stürmten das Gotteshaus, ergriffen den Geistlichen und jagten die andächtig betende Gemeinde laut höhnend aus der Kirche. Dann stürzten sie sich auf den Taufstein, um ihn in tausend Stücke zu zerschlagen. Nie wieder sollten über ihm Germanen zu Christen getauft werden. Doch gerade als sie ihr gottloses Vorhaben beginnen wollten, sprangen vier Löwen zur Kirche herein und stellten sich schützend vor den heiligen Stein. Drei der Löwen hoben das Taufbecken hoch und setzten es sich auf den Rücken. Keiner der Angreifer wagte es nun mehr, dem Taufstein in böser Absicht nahe zu kommen, so daß sie schließlich unverrichteter Dinge die Kirche wieder verlassen mußten. Der vierte Löwe hatte unterdessen den frommen Geistlichen von den Fesseln befreit, die ihm die Ungläubigen angelegt hatten, und ihn ins sichere Rheinland getragen. Wo dieser Löwe seither geblieben ist, weiß niemand zu sagen. Die drei verbliebenen Löwen, die den Taufstein schützend auf ihren Rücken trugen, sind mit der Zeit geschrumpft und versteinert, doch ruht der aus dem Teufelsfelsen gearbeitete Taufstein bis heute auf ihnen. (Grasreiner)

Anmerkungen

Mit dem Geistlichen, der ins sichere Rheinland getragen wurde, ist wohl St. Suitbert, der legendäre Gründer der Kirche, gemeint.

Eines der vier ursprünglichen Löwenbildnisse am Taufstein der St. Gertrudskirche ist verlorengegangen oder zerstört worden. Man hat es 1928 durch eine Kopie ersetzt.

Historisch betrachtet ist Wattenscheid, ebenso wie viele andere Orte des Ruhrgebietes, mit der Geschichte der alten Benediktinerabtei in (Essen-) Werden an der Ruhr eng verbunden. In einem alten Abgabenverzeichnis der Abtei wird Wattenscheid als Siedlung »Uuattanscethe im Brukterergau« erstmals um das Jahr 880 urkundlich erwähnt. Die Abtei Werden wurde gegründet von Liudger (742-809), dem ersten Bischof von Münster, der in Werden auch seine letzte Ruhestätte fand. Auch heute, 1200 Jahre nach der Gründung, ist die Anlage, insbesondere die Grablege des St. Liudger und seiner Verwandten, der »Liudgeriden«, sehenswert. Die ehemalige Abtei Werden befindet sich an der Abteistr. in Essen-Werden.

»Die Platte« bezeichnet einen Berghang in Essen-Werden rechts der Ruhr gegenüber der Abtei Werden am Weg zur Platte 73; genau dort, wo sich das Restaurant »Zur Platte» befindet.

Propsteikirche St. Gertrud (WGS 84: 51.4821° 7.132483°)

Literaturnachweis

  • Grasreiner, 160-162 + Anmerkung (18 Strophen in Versen von Alfred Kodantke, Lehrer aus Wattenscheid mit dem Titel: ``Die vier Taufstein-Löwen in Wattenscheid». Die Verse wurden von D. S. aus Gründen der besseren Verständlichkeit in Prosa gefasst.); vgl. Hüls, o. J. , 41; vgl. Hüls, 1962, 19 (Hüls’ Texte erinnern an die Sage vom Horkenstein, siehe BS, Nr. 77 bzw. RS, Nr. 47); vgl. Bröker, 1996, 44; vgl. Bröker, 1999, 13f.


Hier finden Sie: Propsteikirche St. Gertrud (51.4821° Breite, 7.132483° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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