Der Horkenstein in astronomischer Sicht

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Horkenstein

Prof. Wolfhard Schlosser

Vor dem Horkenstein befand sich bis vor kurzem eine Plakette, die ihn »als von dem fränkischen Stamm der Hattuarier zu kultischen Zwecken aufgestellt« beschrieb und weiter ausführte, dieser Stein sei »kein Opferstein gewesen, es handele sich vielmehr um einen sogenannten Kalenderstein«. Erläuternd dazu wurde weiter mitgeteilt, dass der Kopf des Horkensteins in Richtung Niederwenigern/Burgaltendorf orientiert gewesen sei und man mit ihm den Sonnenuntergang vor dem Tag der Sommersonnenwende (21. Juni) bestimmt habe. Glücklicherweise ist diese Plakette jetzt verschwunden, denn ihre Informationen waren entweder falsch oder nicht belegbar.

Heute befindet sich der Horkenstein südlich der Ruhr an der Martin-Luther- Straße/Ecke August-Bebel-Straße. Dort liegt er aber erst seit 1984. Ursprünglich befand er sich nördlich der Ruhr in der Nähe des Grotenberges. Den ältesten Hinweis auf seinen früheren Standort gibt ein undatiertes Manuskript im Hattinger Stadtarchiv, das aufgrund der verwendeten Schrift im 19. Jahrhundert verfasst sein musste. Leider ist auch dieser Beleg nicht präzise genug, so dass die damalige Position des Horkensteines nur grob festgelegt werden kann. Mit einem Unsicherheitsbereich von vielleicht fünfzig Metern lag er im System WGS 84 bei:

Horkenstein, alte Lage (WGS 84: 51° 24.998' 0" 7° 9.576' 0")

Niemand kann ausschließen, dass er in den Jahrhunderten davor nicht auch schon verlagert wurde. Wenn also bereits die ursprüngliche Lage des Horkensteines unsicher ist, so kann man über die Richtung seines Kopfes überhaupt nichts aussagen. Die Meinung, der Stein sei nach Niederwenigern/Burgaltendorf hin orientiert gewesen, ist somit pure Spekulation, und die Ansicht, dort würde die Sonne zur Sommersonnenwende untergehen, schlicht falsch. Burgaltendorf liegt westlich vom vermuteten Standort, Niederwenigern südwestlich davon. Das ist ungefähr der Horizontbereich, den die Sonne im Winterhalbjahr bestreicht. Der Sonnenuntergang zur Sommersonnenwende findet im Nordwesten statt, vom Standort aus gesehen also in Richtung Essen-Steele. Von mangelnden astronomischen Kenntnissen zeugt auch die Meinung, man habe am Vorabend der Sommersonnenwende diesen Termin auf den Tag genau festlegen können. Zu den Wenden ändert die Sonne ihre Horizontposition während mehrerer Tage überhaupt nicht, und wenn doch ein wenig, so ist dies durch Schwankungen des Luftdrucks oder der Temperatur bedingt.

So falsch die Öffentlichkeit also bisher über eine mögliche astronomisch-kalendarische Funktion des Horkensteines unterrichtet wurde, so wenig belegbar sind auch die historischen Aussagen. Allein bei der apodiktischen Feststellung, der Horkenstein sei‚ vom fränkischen Stamm der Hattuarier zu kultischen Zwecken aufgestellt’ liegt einem die Frage auf der Zunge, ob der Verfasser des Plakettentextes vielleicht damals selbst mitgewirkt hat, wenn er dies alles so genau weiß. Richtig ist allerdings, dass der Name »Horkenstein« zwanglos mit dem altnordischen Wort hörgr zusammengebracht werden kann, welches ein freistehendes Heiligtum bedeutet. Dass die Germanen ein möglicherweise viel älteres Kultobjekt weiterhin verehrten und ihm einen Namen in ihrer Sprache gaben, wäre nicht ungewöhnlich. Auch die Christen haben vorchristliche Sakralorte weiter verwendet und mit den Namen christlicher Heiliger versehen.

Ob die Hattuarier in nachchristlicher Zeit Steine nach Art des Horkensteins zurichteten und als Kultobjekte nutzten, müsste an Parallelen belegt werden, die gut datiert sind. Der Horkenstein selbst scheint archäologisch nicht genauer untersucht worden zu sein, obwohl er als das zweitälteste Kulturdenkmal Hattingens gilt. Insbesondere wäre eine Analyse der Arbeitsspuren in der sogenannten Blutrinne hilfreich. Der Fachmann könnte dann auf die Art des verwendeten Werkzeuges schließen und dadurch zumindest eine grobe Zeitzuweisung wagen. Grundsätzlich sind solche Steine wie der Horkenstein nichts Ungewöhnliches. Sie standen meist vertikal im Boden, werden Menhire genannt, und sind Zeugnisse prähistorischer Kulturen. Die Menhire werden im Regelfall der Jungsteinzeit zugeordnet. Die Namen der Träger der jungsteinzeitlichen Kulturen sind uns unbekannt; wir benennen sie meist nach charakteristischen Merkmalen der von ihnen verwendeten Keramik. Diese namenlosen prähistorischen Kulturen mögen nach Tausenden von Jahren ihren genetischen Anteil an die Hattuarier weitergegeben haben. Den Horkenstein aber so ohne weiteres diesem germanischen Stamm zuzuweisen, ist sehr spekulativ.

Der vorzeitliche Mensch hat seine Steine oft verziert. Meist sind es nur Schälchen oder Rinnen (wie beim Horkenstein), gelegentlich aber auch Rindergespanne, Maibäume oder Schiffe. In Niedersachsen gibt es einen derartigen Rinnenstein, der dem Horkenstein an Größe und Gestalt verblüffend ähnelt. Dies ist der sogenannte »Opferstein von Melzingen« (s. Abbildung unten). Er selbst und sein Umfeld wurden archäologisch in mehreren Kampagnen sorgfältig untersucht (Laux 2000). Nach diesen Untersuchungen befand sich der Opferstein in einer flachen, von Menschenhand eingetieften Mulde, um die herum ein Erdwall aufgeworfen war. Die Grabungen unter dem Stein haben gezeigt, dass er aufgerichtet werden sollte oder auch wurde, später aber wieder umgefallen ist. Bemerkenswert ist ferner, dass vom Rand der Mulde – aus elf bis vierzehn Metern Entfernung – Gegenstände auf ihn geworfen wurde, darunter datierbare Steinbeile. Die ganze Anlage stammt aus der Jungsteinzeit, präziser gesagt aus der frühen Megalithkultur der Lüneburger Heide. Einige Bronzeobjekte belegen, dass die Anlage auch später noch von Bedeutung war. Die geplante (oder durchgeführte) Aufrichtung des Steines zeigt, dass es sich hierbei um einen Menhir handelte. Die halbseitig umlaufende Rinne sollte offensichtlich den Kopf vom Rumpf einer abstrakten menschlichen Figur separieren. Nach Fundlage hätte diese Figur dann ungefähr nach Osten geblickt. Allerdings rühren derartige Rinnen an größeren Steinen auch gelegentlich von neuzeitlichen Versuchen zu ihrer Zerkleinerung her.

Natürlich ist es nicht statthaft, die Ergebnisse zum Melzinger Stein unmittelbar auf den Horkenstein zu übertragen. Da aber der ursprüngliche Standort und die Positionierung des Horkensteins unbekannt sind, außer vagen Spekulationen nichts Substanzielles zu seinem Alter und seiner Funktion geäußert wurde und eine fachmännische Untersuchung der Arbeitsspuren am Stein bisher unterblieb, gibt es vorerst nur dieses Vergleichsobjekt aus der Lüneburger Heide. Dieses schließt ein prähistorisches Alter des Horkensteins nicht aus.

Der Opferstein von Melzingen selbst und die Horizontlinie um seinen Standort herum zeigen keinerlei astronomische Auffälligkeiten, die auf eine Funktion als Kalenderstein schließen lassen. Insofern sollte man auch beim Horkenstein nicht von vornherein einen derartigen Zweck vermuten, zumal die bisherigen Deutungen in dieser Hinsicht falsch waren. Allerdings bemerkt man, dass von seiner (vermuteten) ursprünglichen Lage der Sonnenaufgang zur Sommerwende in vorchristlicher Zeit in Richtung Weitmarer Holz (Bochum) geschah. Über einen vollen Kilometer wird diese Aufgangsrichtung durch eine Straße mit dem auffälligen Namen Am Sonnenberg in Bochum bestimmt, ein Flurname, der bereits in der Uraufnahme der späteren topographischen Karten 1:25 000 aus dem Jahre 1840 erscheint. Kultsteine und vorgelagerte Sonnenstraßen sind nichts Ungewöhnliches: Vor den Megalithen von Stonehenge wurde ebenfalls eine lange Prozessionsstraße angelegt, die – wie für den Horkenstein vermutet – in Richtung des Sonnenaufganges zur Sommersonnenwende verläuft.

heutige Lage des Horkensteines (WGS 84: 51.397902° 7.179903°)

Literatur

  • F. Laux: Der »Opferstein« von Melzingen, Gem. Schwienau, Ldkr. Uelzen. In: Opferplatz und Heiligtum – Kult der Vorzeit in Norddeutschland (Hrsg. R. Busch, T. Capelle, F. Laux). Wachholtz Verlag, Neumünster 2000. ISBN 3-529-02010-9


Hier finden Sie: heutige Lage des Horkensteines (51.397902° Breite, 7.179903° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





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