Der Horkenstein

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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»... man tut diesem alten Block wohl nicht zu sehr Unrecht, wenn man ihn für einen Opferstein unsrer alten Väter ausgibt.« Schücking-Freiligrath

Vor langen Jahren – so erzählt man – war das Dorf Wenigern viel kleiner als heute, und wo jetzt sich die große katholische Kirche erhebt, stand damals nur eine kleine Kapelle mit einem Muttergottesbilde, vor dem Tag und Nacht ihr Erbauer, der heilige Ludgerus, betete. Die Leute aus der ganzen Gegend wallten zu ihm und beichteten, und solange der Heilige sich dort aufhielt, kamen sie alle in den Himmel. Das jedoch stand dem Teufel wenig an. »Wenn das so weiter geht«, dachte er, »kannst du dein Feuer nur ausgehen lassen, denn dann gibtʻs keinen, den du peinigen darfst!« Wütend lief er nach dem Morgenlande, um von dort einen ganz besonders großen und harten Stein zu holen, mit dem er die Kapelle und den heiligen Ludgerus vernichten wollte. Als er solchen Stein gefunden, nahm er ihn auf den Rücken, machte Schritte jedes Mal zehn Eggen breit und sprang mit einem

Satze übers Schwarze Meer. So schnell er aber auch vorwärts kam, endlich wurde er doch müde, und er keuchte bereits arg, als er eines Abends in der Nähe von Linden anlangte. Kaum hatte er dort noch einige Schritte gemacht und Dahlhausen an der Ruhr erreicht, da kam ihm ein Schacherjude entgegen, der eine Kiepe (Tragkorb) mit alten Schuhen und Latschen auf dem Rücken trug. Wie dieser die Gestalt mit dem riesigen Steine sah, befiel ihn ungeheure Angst und eiligst wollte er davonlaufen. Doch gar freundlich rief ihm der Teufel zu: »Sage, mein Sohn, wie weit istʻs noch nach Wenigern, wo der heilige Ludgerus weilt, aber antworte schnell, denn ich habe gar schwer zu tragen, und fürchte dich nicht, denn bin ich auch der Teufel und bekomme deine Seele bald, so soll sieʻs doch gut bei mir haben!« Da dachte der Jude: »Mai, was wettʻ ich? Der Deibel will ans Leder dem hilligen Manne, er macht ihn daud, mausedaud, un dann hättʻ ich ka Lösung (Verdienst) mehr. Verdienʻ ich da doch a gut Stück Geld an den Hilligenbillern (Heiligenbildern), die ich em verkaufen duh.« Dann antwortete er: »Herr Deibel, ich kumme vun Wenigem un habe vun da nach hier so viel nai Schuh-un Stibbelwerk ufgeschliffen als ich habʻ Latschen in mai Kiep. (»... ich habe von Niederwenigern bis hierher so viele neue Schuhe und Stiefel aufgetragen, wie ich Schuhwerk habe in meinem Rucksack.« D.S.) Der Weg is noch grausam lang. Mai, ich sag die Wahrheit!« Der Teufel stöhnte und wurde ganz giftig, biß die Zähne zusammen und fragte den Juden: »Nun sagʼ mir noch, was das für ein Wasser ist, das hier vorüberrauscht; ich kannʻs nicht genau erkennen, da zu viel Buschwerk am Ufer steht!« – »Nu mai, was süll es anders sein als der Jordan, sein wir doch hier im gelobten Lande! (Israel)« Da fluchte der Teufel ganz gottserbärmlich und schrie: »Nun habʻ ich das Schleppen satt!« Mit großer Wucht schleuderte er den Felsen von sich, flog dann – einen gräßlichen Gestank hinterlassend – steil in die Höhe und ist seitdem nie wieder auf die Erde gekommen. (...) (Bahlmann) Johannes Vaester berichtet eine Variante zur Sage vom Horkenstein:

Demnach sei der heilige Liudger auf den unter der Last des heidnischen Opfersteins aus dem Ruendale (= Rauendahl, Obernbaakstr. in Bochum) heraufkeuchenden Satan aufmerksam geworden. Der Bischof streckte dem Teufel das heilige Kreuz entgegen und bannte ihn auf die Höhe des Grotenberges an der Grenze zwischen (Bochum-) Dahlhausen und (Hattingen-) Baak. Auf seinen Befehl: »Apage Satan!« (Mache dich fort, Satan!), habe dieser den Felsblock ebenfalls am Grotenberg abgeworfen und sei mit Gebrüll verschwunden. (...) Um diesen Stein bildeten sich viele Schauergeschichten: So wurde behauptet, er sei ein Opferstein, der »nach der roh eingemeißelten Rinne zum Abfließen des Blutes zu urteilen, in heidnischer Vorzeit als Opferaltar gedient hat, auf dem auch die gefangenen Römer »von dem deutschen Riesen Horkus« geschlachtet worden sind« (nach der Hermannsschlacht) oder: auf dem Horkenstein seien »in einem der Göttin Hertha geweihten Haine in mondhellen Nächten von heidnischen Priestern in weißen Gewändern Menschen und Tieropfer dargebracht worden«. (...)

Anmerkungen

Hinweise in Klammern von D.S. Wenigern = Niederwenigern. Linden und Dahlhausen sind Stadtteile von Bochum. Die sehenswerte Niederweniger Kiche (St. Mauritius), die der helige Ludger nicht gegründet hat, liegt am Domplatz in Hattingen und ist neben den Gottesdienstzeiten leider nur Sonntags von 15–17 Uhr geöffnet. Zuerst urkundlich erwähnt wurde die Kirche im Jahr 1147. Der Turm stammt aus dem 12. Jahrhundert. Das neugotische Kirchenschiff wurde um 1860 errichtet. Zur Abtei Werden siehe Sage 31. Auf einer Plakette am Fuße des Horkensteins heißt es: »Der Horken-oder Heidenstein ist das einzige Steindenkmal von hohem kulturgeschichtlichen Wert, das an der mittleren Ruhr, im ehemaligen Gau Hatterun noch vorhanden ist. Es wurde von dem fränkischen Stamm der Hattuarier zu kultischen Zwecken aufgestellt. Die Aufstellung erfolgte wahrscheinlich vor 1500 bis 2000 Jahren. Der Stein ist kein Opferstein gewesen, es handelt sich vielmehr um einen sogenannten Kalenderstein...« Der Kopf des Steines sei in Richtung Niederwenigern/(Essen-) Burgaltendorf gerichtet gewesen und man habe mit ihm den Sonnenuntergang vor dem Tage der Sommersonnenwende (21. Juni) bestimmt. (...) Manche Regionalhistoriker bringen den Horkenstein mit Gurcho, einem angeblichen »Saufgott« der Germanen, in Verbindung (für wie blöd halten Heimatforscher, die solches behaupten, eigentlich unsere Vorfahren?). Glaubwürdiger scheint ein Hinweis von Prof. Wolfhard Schlosser (Bochum) zu sein. Mit Bezug auf Jacob Grimm meint er, Horkenstein könne sich von Hörgr altnordisch für freistehendes Heiligtum ableiten. Bahlmann vergleicht den Namen mit dem angelsächsischen »Eorcanstan« = Heiliger Stein. Möglicherweise besteht auch ein Zusammenhang mit dem altgriechischen Wort »horkos« = Schwur. (...) Zur Lage des Grotenberges: Von der Lewackerstr. kommend, biegen Sie in die Winzerstr. ein. Nach ungefähr 300 Metern fahren Sie rechts die Privatstraße hinunter. Rechter Hand, dem Fußweg am Wiesenrand folgend, überqueren Sie die Holzbrücke, die wohl über die Haimbecke führt, halten sich links und finden nach ungefähr 100 Metern rechts den Grotenberg, der heute teilweise mit Graffitis besprüht und mit Kletterösen versehen ist. 30 Meter vom Privatweg/Ecke Winzerstr. entfernt befindet sich ein Fußweg. Oberhalb der Böschung, am äußeren Gartenbereich von Winzerstr. 58, lag der Horkenstein ursprünglich. Seit 1984 liegt der Horkenstein in Hattingen, nahe der Altstadt, an der MartinLuther-Straße/Ecke August-Bebel-Straße, etwa 500 Meter von der Ruhr entfernt.

Horkenstein (ehem. Lage) (WGS 84: 51.416633° 7.1596°)

Horkenstein (heutige Lage) (WGS 84: 51.397902° 7.179903°)

Multimedia

Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.



Literaturnachweis

  • Bahlmann, 1922, S.122–126 (in Mundart mitgeteilt von Firmenich, 366f.; s. a. J.
  • Schneider, Monatsschrift für rhein.-westf. Geschichtsforschung und Altertumskunde, Jg. 3., Trier 1877, 414
  • W. Grevel, Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands, Jg. 4, Trier 1878, 109–111, 297–300; Montanus, 43; Petersen, 93f.);
  • Sondermann, BS, 170–176 (nach s.o.; Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Berlin 1875–78, 4.Aufl. (Nachdruck Wiesbaden 1992), Bd1, 54, Bd. 3, 32f.; Eversberg, 1985, 14–16;
  • J. Vaester, Geschichte des alten Kirchspiels Niederwenigern ..., in: Jahrbuch des Vereins für Heimatpflege im Kreise Hattingen 1923/24, 75;
  • Mia Gantenberg, Der Horkenstein, in: Walter Gantenberg & Engelbert Wührl, Über allem thronte der Horkenstein, Bochum 2. Aufl. 1996, 76–96



Hier finden Sie: Horkenstein (heutige Lage) (51.397902° Breite, 7.179903° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Ruhrsagen. Von Ruhrort bis Ruhrkopf.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2005
ISBN 3-922750-60-5.





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