Der Grenzsteinversetzer von Dümpten

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Grenzstein

»Me mutt üm op de Pünte passe« (man muß ihm auf die Puinte achten), sagt der Volksmund. So sprach er die Warnung aus, daß man einem Menschen, der zur Unredlichkeit neigt, nicht zu sehr vertrauen soll. Wenige aber kennen den ursprünglichen Wert der Worte. Unter »Pünte« verstand man den Grenzstein, der in alten Zeiten wie auch heute noch das Besitztum des einen Bauers und Bürgers von dem des anderen rechtlich scheidet. Es kam schon vor, daß ein habgieriger Bauer diese Pünte, den Grenzstein, bei Nacht und Nebel, wenn die Felder brach dort lagen, zu seinem Vorteil um einige Fuß oder Schritte in das Gebiet des Nachbars hinein versetzte. Solch unredliches Tun kann keinen Segen bringen. Das mußte der Bauer Oberheid in Dümpten in altersgrauer Zeit zu seinen Schaden auch erfahren. Wie das bei Bauern so geht, hatte Oberheid einen jahrelangen Prozeß mit seinem Nachbar Aufderheid um die Festlegung der Grenzmark geführt, aber den Rechtsstreit verloren. Das ließ ihm keine Ruhe. Tag und Nacht berechnete er, wie viel er verdienen würde, wenn der Grenzstein nur einen Schritt zu seinen Gunsten weiter auf die Heide gerückt würde.

In Gedanken freute er sich des Besitzes so sehr, daß er endlich nicht mehr widerstehen konnte und an einem stürmischen Dezemberabend mit Hacke und Spaten, von niemandem gesehen, sich aufs Feld begab, um den Grenzstein zu versetzen. Wohl mahnte ihn sein Gewissen bei jedem Spatenstich, vom unredlichen Beginnen abzulassen; wohl heulte der Wind schauerlich mahnend ihm Warnungen ins Ohr, aber die Habgier hatte ihm den redlichen Sinn verrenkt. Schon hob er den Grenzstein aus dem rechtlichen Platz und trug ihn in das Besitztum des Nachbarn hinein.

Da war es ihm plötzlich, als spränge ihm ein Untier auf den Rücken, eine Stimme wie Wolfsgebrüll klang ihm ins Ohr. Alte Erinnerungen vom Werwolf durchwogten und umnebelten seinen Sinn, so daß er mit einem ächzenden Wehlaut mitten in der Meintat zu Boden stürzte und bewußtlos liegen blieb. So fand ihn der Nachbar am andern Morgen. Der neben ihm liegende Markenstein kündete deutlich sein unseliges Vorhaben. Aber er bedurfte der weltlichen Gerechtigkeit nicht mehr. Zwar wachte er aus seiner Ohnmacht auf. Doch sein Sinn blieb verstört, daß er immer meinte, der gräßliche Werwolf verfolge ihn. Da waren die wenigen Jahre seines Leben ein langer Reuegang und sein Dasein ein Schrecken für alle, die das heilige Recht des Grenzsteines anzutasten sannen . . .

Selbst nach seinem Tode erlosch nicht die Erinnerung an seine Untat. Wenn in den Zwölfnächten der Sturm die Häuser und Hütten der Dümptener Bauern umheult, Pflegen die Alten zu sagen: »Nun ist der Werwolf hinter dem Grenzsteinversetzer her. Hört, wie er aufheult, unter dem Joch des Steines!«

Anmerkung

Der nicht mehr bewirtschaftete Hof Oberheiden liegt an der Straße Wenderfeld 9. Grenzmark bedeutet Grenzgebiet. Ein Markenstein ist ein Grenzstein. Zum Werwolf siehe Sage 2. (Hof Aufderheid ist nicht lokalisierbar. Hinweis erbeten !)

Hof Oberheiden (WGS 84: 51.456083° 6.909583 °)

Literaturnachweis

  • Broermann, 80


Hier finden Sie: Hof Oberheiden (51.456083° Breite, 6.909583° Länge)

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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




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