Der Barbarazweig

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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In meiner Kindheit gab es in unserer Bergmannssiedlung der ehemaligen Langendreerer Zeche Bruchstraße (*um 1769; †1962; ehemaliger Eingang Wallbaumweg 101) an der Hauptstraße, Somborner Straße und Nebenstraßen den schönen Adventsbrauch, Kirschbaumzweige aus dem Garten in eine Vase zu stellen. Durch die Wärme des Hauses begannen sie zur Weihnachtszeit zu blühen und vermittelten eine Vorahnung an den kommenden, doch noch so fernen Frühling. Nie hätte ich damals an eine sagen-hafte Bedeutung dieses Brauches gedacht:

Einst lebte ein Bergmann an der Ruhr, der hieß Gottlieb Bäumer. Gottlieb war ein fleißiger Mann, der eifrig seine Stollen trieb und Tag für Tag viele Säcke mit Kohle ans Tageslicht brachte. Er war mit seinem Leben zufrieden, und sooft er in die Kirche ging, betete er zu seinem Herrgott, den er liebte und von dem er wusste, dass er ihm sein Wohlergehen verdankte.

Da eines Tages geschah es, dass Gottlieb Bäumer im Berge auf taubes Gestein stieß. So fleißig er auch arbeitete, er fand kein einziges Stückchen Kohle mehr.

Auf solch eine Situation hatte der Teufel schon lange gewartet. Und so kleidete er seine höllischen Glieder in ein einfaches Bergmannsgewand, stieg in die Grube hinab und näherte sich Gottlieb Bäumer als biederer Arbeitskamerad. Dieser empfing den Fremdling ohne Argwohn und klagte ihm seine schweren Sorgen, denn mittlerweile litt er mit Frau und Kind schon heftige Not. So viel er auch betete, er fand keine Kohlen mehr - und keine Kohlen, das bedeutete für ihn: kein Brot.

Da flüsterte ihm der listige Teufel zu: »Wenn du mir deine Seele gibst, dann soll all deine Not ein Ende haben. Du brauchst sie mir nur für sieben Jahre zu verschreiben. Niemand wird etwas davon erfahren. So wirst du bald der reichste Mann im Grubenrevier sein und - du brauchst dich niemals mehr zu schinden und zu plagen!«

Erschrocken wich Gottlieb zurück, als er das seltsame Angebot hörte, doch der Fremdling wusste so listenreich mit goldenen Worten von zukünftigem Reichtum zu erzählen, dass Gottliebs Widerstand bald schwächer wurde. Da zog der Satan auch schon eine Feder hervor, ritzte dem Bergmann ein wenig den Arm, und mit den ersten Tropfen Blut wurde der Vertrag unterschrieben.

Der Teufel zögerte nicht, sein Versprechen einzulösen: Schon am nächsten Tag griff er zur Hacke und räumte unverdrossen die Steine aus dem Stollen fort. Das war ein Wühlen und Schürfen! In Windeseile flogen die Gesteinsbrocken zur Seite. Der Teufel brauchte nicht einmal ein Licht dazu. Seine glimmenden Augen erhellten das Dunkel im Berge.

Und schon bald kam wieder Kohle zum Vorschein. Tag und Nacht brach nun der Teufel das schwarze Gold aus dem Gestein, und Gottlieb Bäumer brachte fröhlich die von neuem gefüllten Säcke zu Tage. Ja, es gab so viel Kohle, dass Gottlieb allein nicht mehr mit der Arbeit fertig wurde; er musste sich einen Knappen zu Hilfe nehmen. So wie die Kohle aus dem Berg strömte, so reich floss auch das Geld dem Gottlieb zu. In seinen Truhen und Schränken häuften sich Taler und Dukaten - aber es war Teufelsgeld! Gottlieb war es gar nicht wohl in seiner Haut, und so begann er, seine aufkommenden Sorgen mit Bier und Wein zu ertränken und lebte in Saus und Braus.

Doch in seinem Überfluss vergaß er nicht die Armen, dachte er daran, dass andere Bergleute vom Schicksal weniger begünstigt wurden. Niemand verließ sein Haus, der sich nicht vorher sattgegessen hätte. Jedem Bettler gab er Taler mit vollen Händen, und wer Not litt und Hilfe brauchte, der musste sich nur an Gottlieb Bäumer wenden.

So also gingen die Jahre ins Land. Kaum noch dachte Gottlieb an den Teufel. Ja, manchmal vergaß er sogar, wem er seinen ganzen Reichtum verdankte! Bis eines Tages der Satan vor ihm stand. Den unterschriebenen Vertrag hielt er in der Hand und lachte: »Nun sind die sieben Jahre um. Deine Seele gehört mir!

Doch Gottlieb Bäumer ließ sich nicht so ohne weiteres überlisten. »Noch ist die Zeit nicht abgelaufen, die ich mit meinem Blut unterschrieben habe«, entgegnete er. »Heute ist Barbaratag. Noch drei Wochen fehlen an der Zeit. Komm am Heiligen Abend wieder. Dann erst werde ich dich begleiten – wenn ich will.«

Da ließ der Satan sein meckerndes Lachen ertönen: »Wenn du auch zehnmal nicht willst, so bist du mir doch auf ewig verfallen, da hilft dir auch dein Gott nicht mehr.« Aber Gottlieb verlor nicht den Mut: »Bis dahin wird sich alles finden. Mit Gottes Hilfe gibt es immer noch Rettung.«

Diese Worte machten den Teufel so wütend, dass er von einem Kirschbaum einige Zweige abriss und sie dem Gottlieb mit den Worten hinwarf: »Nimm diese dürren Zweige hier. Wenn Gott dir wirklich helfen will, dann lässt er sie, wenn ich wiederkomme, mitten im Winter blühen. Wenn das geschieht, dann will ich ohne deine Seele fortziehen.« Und mit dem Klang dieser Worte blieb Gottfried allein zurück.

Verzweifelt und traurig, mit schweren und müden Gliedern, schlich er nun nach Hause. Die Zweige trug er in der Hand, ohne Hoffnung, dass sich das Wunder jemals erfüllen würde. Plötzlich wurde es hell um ihn. Vor ihm stand ein wunderschönes Mädchen, gekleidet in ein weißes Leinengewand. Es war die hl. Barbara, die Schutzpatronin der Bergleute. Vom Licht umflossen stand sie da - das ganze Ruhrtal erstrahlte in goldenem Schimmer. Huldvoll sprach nun die Heilige zu Gottlieb: »Du hast dich mit dem Bösen eingelassen. Groß und schwer ist deine Schuld. Mond und Sterne könnten deswegen verblassen. Aber gib die Hoffnung nicht auf. Ich habe gesehen, dass du deine Schlechtigkeit sehr bereust. Und weil du außerdem viel Gutes getan hast, will ich dir mit einem Rat helfen: Gehe heim und stelle die Zweige in einen mit Wasser gefüllten Krug. Bald werden sich Blüten und Blätter im Überfluss zeigen.«

Nachdem sie dies gesagt hatte, entzog sich die hl. Barbara Gottliebs Blicken. Dieser tat, was die Erscheinung ihm geraten hatte, und tatsächlich, nach einigen Tagen schon begannen die Knospen der Zweige sich allmählich zu öffnen, obwohl es noch strenger Winter war.

Als nun der Heilige Abend gekommen war, fand sich der Satan pünktlich am vereinbarten Treffpunkt ein. Bald kam auch Gottlieb, der die nun vollständig aufgeblühten Zweige mitgenommen hatte, sie aber noch unter seinem Mantel versteckt hielt. Der Teufel zog aus seinem Gewand das blutunterzeichnete Pergament. »Beeile dich, bald tönen die ersten Weihnachtsglocken. Dann ist deine Zeit endgültig abgelaufen!«

Da ließ Gottlieb mit frohlockendem Lachen den Teufel die blühenden Zweige sehen. Dieser stampfte voller Wut mit dem Pferdefuß auf, dass feurige Funken aufstoben. Er besah sich die blühenden Zweige von allen Seiten. Geifer floss aus seinem verzerrten Mund. Zornentbrannt wollte er nach Gottlieb greifen und seine Niederlage nicht eingestehen. Gottlieb verlor fast den Mut. Schon spürte er die krallige Faust in seinem Nacken, und in seinen Adern gefror das Blut. Doch was war das? Ganz leise erklang die feine Stimme eines Glöckchens, und nach und nach stimmten alle Glocken in das Tönen und Singen ein. Bald erschallte das Ruhrtal vom mächtigen Weihnachtsgeläut. Da versiegte die Kraft des Bösen, das von Gottlieb ablassen musste. Unversehens war der Teufel verschwunden. Zurück blieb nur das Vertragspergament; es hing unversehrt an einem Strauch.

Und so lebte Gottlieb noch viele Jahre, in denen er so manchen Becher Wein leeren konnte. Der Teufel ließ ihn fortan in Frieden. Doch alljährlich am Barbaratage stellte Gottlieb Kirschbaumzweige in einen Krug, die immer am Weihnachtstage Blüten und Blätter trieben.

Nicht nur die katholischen Bergmannsfamilien verehrten die hl. Barbara. Meine Familie ist evangelischen Glaubens, und solange ich denken kann, hing auch bei meiner Großmutter, aus Kohle gepresst, das Bildnis der Heiligen im Wohnzimmer.

Das Namensfest der hl. Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, wird nach wie vor alljährlich am 4. Dezember festlich begangen. Wann und wo diese Heilige gelebt hat, ist bis heute ungewiss. Möglicherweise stammte sie aus Smyrna, dem heutigen Izmir (südlich von Istanbul) und starb als christliche Märtyrerin im Jahre 306.

Nach einer von mehreren Legenden war Barbara die Tochter eines heidnischen Ehepaares in Laurion (Griechenland). Ihr Vater hatte sie sorgfältig erziehen lassen, um sie eines Tages mit einem reichen Mann zu vermählen. Barbara wollte jedoch von einer Heirat nichts wissen. Zur Strafe für ihre Widerspenstigkeit ließ ihr Vater sie in einen Turm einsperren, wohl in der Hoffnung, dass sie sich in der Einsamkeit eines Gefängnisses mit dem ihr zugedachten Schicksal abfinden würde. Als der Vater nun von einer längeren Reise zurückkehrte und in das Verlies seiner Tochter ging, um sie zur Rede zu stellen, da sah er voller Überraschung, dass sich in den Mauern des Turms ein neues Fenster befand. Und an der Wand hing ein großes Kruzifix. Barbara erklärte ihrem Vater, dass dies durch eine wunderbare Erscheinung geschehen sei. Sie sei während seiner Abwesenheit der göttlichen Gnade teilhaftig geworden, sei zum Christentum übergetreten und habe das Gelübde der ewigen Jungfräulichkeit abgelegt. Darüber wurde ihr Vater so zornig, dass er sie vor die Wahl stellte, dem christlichen Glauben abzuschwören oder von seiner Hand zu sterben.

Wie durch ein Wunder gelang es Barbara kurz darauf, aus ihrem Kerker zu fliehen. Verfolgt von ihrem Vater, rettete sie sich zu den Silbererzgruben von Laurion, wo es viele hundert Schächte gab, in denen Tausende von Bergleuten arbeiteten. In einen dieser Schächte ließ ein mitleidiger Haspelknecht das Mädchen hinab, so dass ihr Verfolger sie aus den Augen verlor. Die Bergleute versteckten Barbara unter Tage und sorgten für ihr Wohlergehen. Doch nach einiger Zeit wurde ihr das Versteck zu ungemütlich. Sie sehnte sich nach frischer Luft und ans Tageslicht zurück. Trotz aller Warnungen der wohlmeinenden Bergleute ließ sie sich wieder hinauffahren.

Oben lauerte aber schon ihr Vater. Er ergriff sie und verlangte ein letztes Mal von ihr, den christlichen Glauben abzulegen. Aber Barbara blieb standhaft, und so tötete der Vater seine Tochter eigenhändig mit einer Axt.

Seit jener Zeit ist die hl. Barbara Schutzpatronin der Bergleute. Ihr Attribut ist der Turm, Symbol der Gefangenschaft, der auch die Bergleute bei ihrer gefahrvollen Tätigkeit tief unten in der Erde tagtäglich ausgesetzt sind.

Bis zum heutigen Tage hat sich der alte Brauch erhalten, am Barbaratag, dem 4. Dezember, Kirschzweige ins Wasser zu stellen, die dann drei Wochen später, am Heiligen Abend, gleichnishaft blühen.

Literaturnachweis

  • Schulze, Laubenthal, 57-60




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Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Bochumer Sagenbuch.
Verlag Pomp, 2004
ISBN 978-3893550678.




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