Das Meerweib zu Ickern

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

Wechseln zu: Navigation, Suche

Vorzeiten war die Gegend in und um Ickern reich an Wassertümpeln, Bächen und Braken. In einem der großen Kolke lag eine Insel, deren Bäume und Sträucher sich im grünen Wasser gar lieblich widerspiegelten. In der Tiefe des Kolkes aber lebten Marweiber, und wenn der silberne Mondschein über Wasser und Insel lag, kamen sie mit ihren Kindern ans Land und spielten und tollten zwischen den Bäumen und Sträuchern und dem hohen, feuchten Gras. Dicht beim Kolke lag der Hof Hanfeld. Als die Knechte und Mägde des Gehöftes eines Tags ans Wasser gingen, bot sich ihnen ein eigenartiger Anblick: Im Grase lag ein Knabe, der war am ganzen Leibe behaart und rau wie ein Hund. Sie nahmen das Kind mit nach Haus, legten es unter die Ofenbank und kümmerten sich weiter nicht darum. Am Abend aber war es verschwunden, und als sie es suchten, fanden sie es am Kolke hinter einer Hecke liegen. Das Marweib aber tränkte das Kind durch die Hecke; dabei murmelte sie in eintönigem Singsang: Trink´, mein Kindchen, trink! Nun brachten es die Leute jeden Abend an dieselbe Stelle. Als aber der Junge größer wurde, glaubten sie dem Marweib einen Gefallen zu tun, wenn sie ihn glatt schören. Sie kamen damit aber bloß zur Hälfte, da wurde es Zeit, dass sie das Kind wieder zum Kolke brachten. Das Marweib kam wieder zur gewohnten Zeit. Als es aber sah, was die Leute angerichtet hatten, wurde es zornig. Sie nahm das Kind hinweg und rief:

»Sau as ji min Kiünd hebbt schuoren,

Is jue (euer) Glück un Stie verluoren« 

Damit verschwand sie im Wasser. Von der Zeit an sind die Marweiber niemand mehr erschienen. Auf Hanfelds Hof aber lastete seitdem ein Fluch, der sich bis ins sechste und siebente Glied auswirkte.

Anmerkungen

Kolke und Braken sind kleine Wassertümpel.

Dem Aberglauben nach sind (Nacht-) Mare Geistwesen, die sich auf die Brust schlafender Menschen setzen und Albträume (engl. «nightmare») hervorrufen.

(Hof Hanfeld ist unlokalisierbar; Hinweis erbeten!)

Literaturnachweis

  • Heimatblätter für Castrop und Umgebung, 6. Jg. , 1927, 48




Weitere Sagen aus Castrop-Rauxel.


Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Emschersagen. Von der Mündung bis zur Quelle.
Bottrop: Henselowsky Boschmann Verlag, 2006
ISBN 3-922750-66-4.




Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.

Ruhr2010Logo
Redaktion