Bergmann Korte, der Robin Hood des Ruhrgebiets

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

Wechseln zu: Navigation, Suche
Robin-Hood-Denkmal vor dem Schloss in Nottingham

Kursverluste an den Börsen, Preisstürze, Bankrotte, Firmenzusammenbrüche, Massenentlassungen; diese Vokabeln bilden den wirtschaftlichen Hintergrund der folgenden Sage. Uns im Ruhrgebiet sind einige dieser Begriffe auch heute noch vertraut. Leider!

Die ersten Anzeichen einer bevorstehenden Wirtschaftskrise waren schon im Jahre 1856 sichtbar. Im Zuge der Industrialisierung wurden im Revier immense Summen investiert. An Geldrücklagen für »schlechte Zeiten« hatten die großen Gesellschaften kaum gedacht. Durch Überproduktion und Fehlspekulationen wurde in den USA eine Finanzkrise ausgelöst, die schnell internationale Ausmaße annahm und sich auch auf das Ruhrgebiet auswirkte. 1857: Der Absatz von Kohle, Eisen und Industrieprodukten bricht zusammen. Rücklagen sind kaum vorhanden, die Krise beginnt.

In dieser Zeit spielt die Geschichte vom Räuberhauptmann Korte. Nun - eigentlich war Korte ein Bergmann, der in Stiepel an der -Hevener Straße auf einem kleinen Kotten wohnte - oder war es an der -Heintzmannsheide oder in der Nähe der -Eulenbaumstraße in Laer? Ganz genau weiß man es heute nicht mehr zu sagen. Wirklich nicht? Herr Heinrich Wagener, Königsallee, teilte mir am 29.11.2001 mit, sein Großvater habe ihm noch Kortes Wohnhaus, einen heute abgerissenen Kotten an der Dewinkelstr. 49, gezeigt. Willy Dickten, Düsterstraße, dagegen meint, Kortes Wohnhaus stand an der Neulingstr. 35.

Doch wie wurde der Bergmann zum Räuberhauptmann? Korte kann es nicht mit ansehen, wie Kinder arbeitsloser Eltern allmorgendlich hinter ihm und den anderen Bergleuten, die glücklicherweise noch einen Arbeitsplatz haben, herlaufen und um Brot betteln. Tagtäglich steckt ihm seine Frau ein Paar Stullen zusätzlich ein. Viele andere Bergleute handeln ebenso, aber soviel sie auch mitnehmen, es reicht natürlich nie, um all die Hungernden auch nur annähernd zu sättigen. Tagaus, tagein sieht er die Not mit an, was soll, was kann er tun, er, ein einfacher Bergmann? Als die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner arbeitslosen Kumpel sich sogar noch verschlechtern - da reicht es Korte, er setzt sich mit einigen Freunden zusammen, sie überlegen, wie sie selbst die Not lindern können. So jedenfalls kann es nicht weitergehen! Von offizieller Seite, so meinen sie, sei wohl keine Abhilfe der miserablen Zustände zu erwarten.

Viele Vorschläge werden gemacht, viele verworfen, bis Korte den Einfall hat, auf ganz praktische Weise zu helfen, indem man Lebensmittel »organisiert« - der Ausdruck »stehlen« scheint ihm für sein Vorhaben völlig unzutreffend - und diese an Bedürftige verteilt. »Hervorragende Idee! Auf das Nächstliegende kommt man oft erst zuletzt«, so meinen die Kumpel. Jedoch - Ehrensache soll es sein, nur bei den Bonzen, wie sie sich ausdrücken, also den reichen Zechenaktionären, den Großbauern und reichen Kaufleuten zu »organisieren«.

Gesagt, getan. Schon nachts darauf klettern sie in die Villengärten der Aktionäre und erleichtern so manchen Obstbaum um seine Früchte. In leere Margarinekisten füllen sie die Beute ihrer nächtlichen Streifzüge: Obst, Gemüse, später auch Brot. Die Kisten stellen sie des Nachts heimlich vor die Haustüren der notleidenden kinderreichen Familien. Man stelle sich nur die Wirkung solcher »Carepakete« auf die Notleidenden vor - groß ist die Freude über den unerwarteten nächtlichen Segen.

So ziehen Korte und seine Leute allabendlich auf Beute aus. Diesmal sollen die Obstbäume eines reichen Bauern ihr Ziel sein. Sie klettern über den Zaun - schon pflückt der erste die reifen Früchte in den Zweigen. Plötzlich erhellt eine Lampe das nächtliche Geschehen. »Diebe, Räuber! Weg, weg mit euch!«, ertönt es durch die Nacht. Schon pfeifen Kugeln Korte um die Ohren. Nur um Haaresbreite verfehlen die Geschosse ihr Ziel. So schnell sind sie noch nie über eine Mauer gesprungen - sie entschwinden im Dunkeln. »Eine Räuberbande treibt ihr Unwesen in der Stiepeler Gegend«, heißt es nun in der Zeitung.

Die Meinungen sind gespalten. Bezeichnen die Reichen und Satten die Beutezüge als kriminell und die Täter als Räuber und Gesindel, so sprechen die Hungernden von nächtlichen Wohltätern der Armen und Notleidenden.

Wer sind diese Gesellen, die es wagen, das Recht in die eigene Hand zu nehmen und Gesetz und Ordnung zu brechen? Nachts sind bekanntlich alle Katzen grau - niemand weiß Genaues. Die Behörde schreibt eine Belohnung zur Ergreifung der Täter aus. Heinrichs: »Von einem als herzlos geltenden Großbauern erhielt man eine heiße Spur. Er hatte nämlich an seiner Tür einen Zettel mit folgender Mitteilung gefunden: Du kennst weder Not noch Leid, übst auch keine Barmherzigkeit! Wir werden uns beeilen, Deinen Überfluss zu teilen, Denn nichts gehört Dir allein: Gerecht muss hier der Ausgleich sein!« Ein kinderloses Paar, ebenfalls von der Arbeitslosigkeit betroffen, geht bei der abendlichen Paketvergabe stets leer aus. Das erregt den Unmut, ja den Zorn der Ehefrau, die nicht einsehen will, dass kinderreiche Familien vor ihnen den Vorzug haben sollen. Die Wut legt den Keim zum Verrat - die Belohnung, das viele Geld, nur für einen Hinweis an die Polizei - eine Verlockung, der man kaum widerstehen kann. Sie legt sich auf die Lauer, hinter der Gardine verborgen erwartet sie das fast alltäglich gewordene späte Treiben. Da - dort huschen doch einige Gestalten, nahe an die Häuserreihen geduckt, durch die Nacht. Ja, sie sind es - die Margarinekisten finden ihren Bestimmungsort.

Aber der eine, große, kommt ihr doch bekannt vor! Ist er es wirklich? Der Bergmann Korte - ohne Zweifel! Am nächsten Morgen führt ihr erster Weg zur Polizei: »Der gesuchte Räuberhauptmann ist kein anderer als der Bergmann Korte!«, zeigt sie der Wache an. Die Beamten versichern der Meldung nachzugehen. Mittagszeit. Der Vorsteher der Wache nimmt für sich in Anspruch, seine Mahlzeit zuhause, am eigenen Tisch, einzunehmen. Bei Stampfkartoffeln und Blutwurst erzählt er seiner herzallerliebsten Gattin von der Anzeige gegen Korte. Ist es Mitleid gegenüber dem Räuberhauptmann, oder ist es Mitleid gegenüber den vielen Notleidenden im Bochumer Süden, deren schweres Los Korte & Co. zu lindern versuchen? Auf jeden Fall steht fest, dass die Frau des Polizisten zur Frau des Bergmanns schleicht und sie warnt: »Sobald dein Mann von der Schicht kommt, soll er verhaftet werden!« Korte versteckt sich mit einigen seiner Kumpanen in einem alten, unbenutzten Gaskessel einer stillgelegten Zeche. Die Diebeszüge gehen weiter. Fast täglich berichten die Zeitungen. Ob Korte vielleicht entfernt mit Till Eulenspiegel verwandt war, weiß ich nicht zu sagen, an einen Eulenspiegelstreich erinnert jedoch die folgende Anekdote:

In der Wirtschaft Philipp, nahe der Bochumer Grenze, sitzen einige Polizisten beisammen. »Dass der Korte uns immer wieder entwischt, geht doch nicht mit rechten Dingen zu!«, spricht der eine zu seinen Kollegen. Plötzlich erhebt sich ein Gast, geht ans Fenster, öffnet es und sagt zu den Ordnungshütern: »Habt ihr den Räuberhauptmann Korte nicht gesehen? Hier ist er!«, und springt durchs Fenster. Vergeblich setzen die Polizisten ihm nach. Er verschwindet vor ihren Augen ins offene Feld.

Weniger Glück hatte Korte kurze Zeit später. Ein Landwirt entdeckt das neue Räuberhauptquartier und meldet es der Behörde. Diesmal rücken die Beamten sofort aus, und tatsächlich - Korte wird im beschriebenen Gaskessel gestellt.

»Korte - los komm heraus, wir wissen, dass du darinnen steckst - ergib dich!«, ruft der Einsatzleiter. Schweigen - niemand antwortet. »Korte - heraus mit dir - mit erhobenen Händen!«, ruft er nochmals, als es aus dem Kessel hohl ertönt: »Holt mich doch! Sobald der erste seinen Kopf durch das Kesselloch steckt, wird er die Wucht meines Eichenprügels auf dem Schädel spüren!« Das wirkt! Keiner der Ordnungshüter will den Anfang machen, sie beschließen, bis zum Abend zu warten, um Korte im Schutze der Dämmerung zu überrumpeln. Wie ein Lauffeuer spricht es sich herum, dass Korte, der gesuchte Räuberhauptmann, im Gaskessel gestellt worden ist, und aus allen Richtungen strömen Leute herbei, die sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Bauern, Händler, die von ihm bestohlen worden sind, reiche Kaufleute, arbeitslose Bergleute, Frauen und Kinder, auch viele bisher nicht entlarvte Mitglieder der Bande - es ist schon ein bunter Haufen, der sich dort am Gaskessel versammelt.

»Korte - komm! Zeige dich, wir werden dir schon eine Lektion erteilen die du so schnell nicht vergessen wirst!«, rufen die geschädigten Bürger, drohend die Fäuste zeigend. Aber Korte kommt nicht. Schon dämmert es, die Polizei zündet eine Lampe an, die das Geschehen jedoch kaum erhellt. »Korte, stelle dich!«, ruft jemand aus der Menge. Der Räuberhauptmann in seinem Versteck schreckt auf. Die Stimme ist ihm vertraut, das ist doch einer seiner Leute! Meine eigenen Leute können doch nicht ernstlich verlangen, dass ich mich ergebe und den Rest meiner Tage im Zuchthaus verbringe, da muss doch was dahinterstecken, denkt er; vielleicht ein Plan, um mich zu befreien? Korte ist sich sicher, seine Leute führen etwas im Schilde...

Kurz darauf kriecht er durch das Kesselloch nach draußen. Sofort stürmen Leute laut fluchend auf ihn los: »Dieb, Räuber - jetzt bist du dran!« Auch seine unerkannten Mitstreiter stürmen auf ihn zu, schon geht die einzige Lampe klirrend zu Boden. Stockdustere Nacht, Lärmen, Schreien. Ein wildes Durcheinander, dazwischen laute Befehle der Polizei: »Aufhören, auseinander!« Vergeblich. Da - ein Ruf von rechts: »Ich habe Korte!« Ein zweiter darauf: »Nein - ich habe Korte!« Und ein dritter: »Schnell - kommt her, ich habe ihn!«

Nach scheinbar unendlich langer Zeit gelingt es, eine andere Lampe anzuzünden. Direkt ins Gesicht des Gefangenen leuchtet der Wachtmeister. - Doch welche Enttäuschung, es ist der Bauer von nebenan, der sich seine dick geschwollene Backe reibt und laut vor sich hin flucht. Der Lichtstrahl trifft das Gesicht eines anderen Festgenommenen - wieder nichts -, ein Knecht ist es, die blutende Nase haltend. Sie können es vielleicht erahnen - auch der dritte Gefasste war nicht der Korte. Der Räuberhauptmann hatte das von seinen Leuten inszenierte Durcheinander genutzt und war unerkannt im Schutze der Dunkelheit entkommen. Für die Gesetzeshüter - eine einzige große Enttäuschung. Der Rest ist schnell erzählt. Der gesuchte Korte floh in die Niederlande, erwarb dort Schiffspassagen nach Amerika für seine Familie und sich, und ab ging es über den großen Teich. Dort fingen sie noch einmal neu an, bauten sich eine Existenz auf und verlebten noch viele glückliche Jahre.

Im Märchen hieße es nun: »Und wenn sie nicht gestorben sind...«, aber so märchenhaft war die Geschichte, die von Not, Hunger, Entbehrung und von Menschen handelt, die das Recht in die eigene Hand nehmen, wohl doch nicht. Oder?

Nach Albrecht Giersch, zitiert von Heinz Winter, hieß Korte Heinrich mit Vornamen und war ein arbeitsloser Bergmann.

Seine Räuberbande hatte neun Mitglieder, benannt sind: Enderlein aus Vormholz, Buschmann und Struck, die beide aus Querenburg stammten und auf der Zeche Kolonia arbeiteten. Ihr geheimer Treffpunkt war Krämer Ziese, der »am Waldrand in den Bergen, südlich der Ruhr« einen Bierausschank betrieb. Ihre Höhlenverstecke lagen in einer Schlucht am Nordhang des Kalwes in Querenburg und im Weitmarer Busch. (Oder nach Paul Reinmöller (mündlich) am Südhang des Kalwes in der »Wolfsschlucht«, zwischen Restaurant Haus Hüggenberg (Hevener Str. 309) und Café zum Ruhrtal (Hevener Str. 335); hinter der umzäunten Kläranlage, gegenüber einer Parkplatzeinfahrt zum Kemnader Stausee.) Ihre namentlichen Opfer waren Bauer Schulte-Bergbeck hinter Weitmar, die Bauern Bindmann und Brinkhoff, Bäcker Waßmann. Ein ihnen nachstellender Polizist hieß Flickschneider.

Nach Giersch kam Korte nach der Lektüre revolutionärer Schriften zu seinem Räuberdasein. Er legt Korte folgendes Buchzitat in den Mund: »Noch schläft die Arbeiterschaft. Aber eines Tages wird einer erwachen, dann noch einer und immer mehr, und schließlich steht die ganze Masse des Proletariats erweckt da und holt sich ihr Recht.« Diese Worte atmen den Geist des 1848 erschienen Kommunistischen Manifestes von Karl Marx und Friedrich Engels. Giersch selbst nennt Korte einen Vorläufer der Spartakisten (revolutionäre Bewegung unter Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aus denen 1918/19 die KPD hervorging).

Karl Schmidthaus erwähnt als weiteres Bandenmitglied: Metzger Auffermann.

Geschädigte (Brotdiebstahl): Haus Laer; Bergmann, wohl Hof Bergmann, Höfestr. 71, der zum Haus Laer gehörte. Hof Bernsau, Lennershofstr. 156 (nach H. Wagner).

Frau Brakelmann, Querenburg, Auf dem Aspei 47, teilte mir am 18. September 1995 Folgendes mit:

Korte wohnte in der Nähe der Eulenbaumstraße auf einem Kotten, in einem schmalen Bauernhaus. Unterhalb des ehemaligen Ruhrlandheimes am heutigen Kemnader Stausee hatte er in einem alten Kohlenstollen sein, nur vom Überfluss genommenes, Diebesgut versteckt. Als einst die Polizei vor seiner Tür stand, konnte er, verborgen unter dem Rock seiner Frau, entkommen.

Wilhelm H. Koch dagegen meldet, die Husaren schnappten Korte, weil ihn seine eigene Braut für eine Geldbörse mit Dukaten verriet.

Volker Frielinghaus, Haus Laer, hält Korte, falls er überhaupt existierte, für einen gewöhnlichen, auf Eigennutz bedachten Dieb. Er bezweifelt einen sozialen Hintergrund der Diebestouren.

Zeche Colonia (gegr. um 1839) in Langendreer ging 1875 zusammen mit der Zeche Vereinigte Urbanus in die Zeche Mansfeld (bis 1963) auf, die nach den im Mansfelder Kupferschieferabbau tätigen Eigentümern aus Eisleben benannt wurde. Der Eingang des Bergwerks befand sich am Ende der Geheimrat-Leuschner-Straße. 1892 wurde auf dieser Zeche zunächst erfolglos versucht, die ersten Pressluftabbauhämmer im Revier einzuführen. Erst nach dem 1. Weltkrieg setzten sich die neuen Werkzeuge durch.

Der bewaldete Nordhang des Kalwes befindet sich hinter den Gebäuden der Fachhochschule (Lennershofstraße 140). Weitmarer Busch dürfte mit Weitmarer Holz gleichzusetzen sein, dieser liegt an der Blankensteiner Straße. Das Ruhrlandheim liegt an der Blumenau 94.

Dewinkelstr. (WGS 84: 51.442667° 7.2195°) Hevener Str. (WGS 84: 51.4384° 7.278367°)

Literaturnachweis

  • Kommunalverband Ruhrgebiet (Hg.) (nach M.Grabosch/Witten und W.Rothert/Bochum), 80-86; Zaunert 1967, 234 (nach H.Gathmann/ Arnsberg); Schmidthaus, Nr.1654 Nachtrag 1, Sept.1961; Winter, 1987, 196-229; Koch (S. 44); Heinrichs, 18f., Hermann, 148f.


Hier finden Sie: Dewinkelstr. (51.442667° Breite, 7.2195° Länge)

Diesen Ort mit weiteren Geodiensten anzeigen. Weitere Sagen aus Bochum.



Dieser Text wurde folgendem Buch von Dirk Sondermann entnommen:

Bochumer Sagenbuch.
Verlag Pomp, 2004
ISBN 978-3893550678.




Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Nähere Informationen: siehe Impressum.

Ruhr2010Logo
Redaktion