Baron von Münchhausen und die Geschichte von dem Eisenwurm in den Weseler Kanonen und deren Vertreibung durch Fliegenpilze

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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August von Wille - Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel

Es herrschte einmal in der Garnison Wesel größte Bestürzung, als bei einer Besichtigung sämtliche Kanonen zahlreiche kleine Löcher aufwiesen, ähnlich, wie wurmstichiges Holz solche aufweist, nur viel größer. Als man der Sache auf den Grund ging, stellte sich heraus, dass tatsächlich ein gefräßiger Wurm sich in vielen Windungen durch die Eisenrohre gefressen hatte und so größeren Schaden anrichtete, als der Holzwurm auf seinem Gebiete. In der allgemeinen Ratlosigkeit, die deshalb in der Garnison Wesel bei den maßgebenden Militärs herrschte, hatte man nach Münchhausens Bericht ihn herbeigerufen, da man von ihm alleine noch Abstellung des Übels erhoffte.

»Bei meiner Ankunft«, so erzählte er, »wurde ich vom Kommandanten in Begleitung des Platzmajors und des Artillerieoffiziers vom Platz mit bedenklichen Mienen empfangen und sofort in die Zitadelle geführt, wo uns der Garnisonstabsarzt erwartete. Ich wurde zu den Kanonen geführt und erkannte bei der ersten Untersuchung siebzig Opfer des Eisenwurms, also siebzig wurmstichige Kanonen, die von dem Eisenwurm durchlöchert waren wie ein Schwamm aus Eisen. Da ließ ich nun mit Unterstützung der Garnison einen Hochofen erbauen, um die gefährlichen Bestien in einer Masse von flüssigem Eisen zu töten. Inzwischen aber trieb der Eisenwurm seine schädliche Tätigkeit weiter, und als der Hochofen endlich fertig war, waren bereits 82 Kanonen angefressen. Der Versuch mit dem Hochofen misslang, und nun sann ich auf ein anderes Mittel der Vernichtung. Mitten in der Nacht kam ich auf einmal auf einen richtigen Einfall. Sofort, ehe ich ihn vergaß, kleidete ich mich an und weckte mitten in der Nacht den Kommandanten von Wesel. Sofort wurde Generalmarsch geschlagen und die ganze Stadt nebst Umgegend in unerhörte Aufregung versetzt. Die halbe Garnison wurde mit Körben ausgerüstet. Damit zogen die Soldaten in die Wälder der Umgegend von Wesel. Dort mussten sie alle auffindbare Fliegenpilze in die Körbe sammeln. Gegen Abend kamen die Ausmaschierten zurück und brachten alle Fliegenpilze mit, die in dortiger Gegend, »Krötenstühle« oder, »Poggenstühle« genannt werden, und das Gift zur Vertilgung war fertig. Die Fliegenpilze wurden eingekocht und die kochende Masse in die angefressenen Kanonenrohre gesteckt. Nach Beendigung der Prozedur fand man nur noch Überreste der zerkochten und zerweichten Eisenwürmer, die wie maigrüne Regenwürmerstücke aussahen, aber an der Luft vollständig zerflossen. Da lenkte ein sehr leiser, klagender Ton mein Auge seitwärts, und am Rande der Zisterne sah ich noch zwei lebende, einen Viertelfuß lange Exemplare des richtigen Eisenwurms mit brennendroten Fühlhörnern, die wie kleine Feilen aussahen. Die entsetzliche Wurmkrankheit der eisernen Kanonen war radikal geheilt. Ich wurde in Wesel und in ganz Preußen als Retter und »Kanonendoktor« gepriesen. Trotzdem blieb ich bescheiden, wie ich immer gewesen und lehnte die mir zugedachte Dankesgabe von einer Millionen Taler ebenso ab, wie die neu zu stiftende ´Kanonenrettungsmedaille` am Bande des Verdienstordens.«

Damit endete die Weseler Geschichte des Lügen-Münchhausen, die offenbar an ein ulkiges Ereignis in der Garnison anknüpfte, bei dem sich eine der damaligen Militärgrößen unsterblich blamiert haben muss.

Anmerkungen

Das alte niedersächsische Adelsgeschlecht derer von Münchhausen steht zu der Stadt Wesel in mancherlei Beziehung. In der Willibrordikirche steht ein prächtiges Epitaph, fast 5 Meter hoch und 2 ½ Meter breit. Darauf befindet sich eine lateinische Inschrift, die in Hexametern schwungvoll anzeigt, dass Otto von Münchhausen, der durch Adel, Mannhaftigkeit und Frömmigkeit ausgezeichnete Sohn Hilmars, nach mancherlei Kriegserlebnissen im Alter von 26 Jahren in Wesel gestorben ist und hier bestattet wurde. Nicht weniger als 16 Wappen des Geschlechts derer von Münchhausen und seiner Nebenlinien, sind gleichzeitig auf dem Epitaph angebracht worden und bekunden zum mindesten, dass die von Münchhausen auf ihren Stamm etwas hielten und ihre Taten ins rechte Licht zu setzen wussten.

Der erste des Stammes von Münchhausen, namens Heino, hat Kaiser Friedrich auf dessen Zug in das gelobte Land begleitet. Er wurde im Jahre 1212 mit dem Hause Sparrenberg beliehen. Seine Söhne wurden die Begründer einer weißen und einer schwarzen Linie derer von Münchhausen. Bekannt ist aus der Geschichte ferner Gerlach Freiherr von Münchhausen als ausgezeichneter Staatsmann. Er ist 1688 zu Berlin geboren, war Kurator an der Universität zu Göttingen und deren bester Förderer. Im Jahre 1770 ist er als hannoverscher Minister gestorben.

Am bekanntesten aber ist der Münchhausen, mit dem wir es hier zu tun haben, Freiherr Karl Friedrich von Münchhausen, der 1720 zu Bodenwerder geboren ist. Man erwähnt ihn zwar auch als einen Kriegsmann, der allerlei mitgemacht hat, unter anderem die russischen Kriegszüge gegen die Türken. Das dauernde Gedenken der Nachwelt ist ihm jedoch allein gesichert durch seine phantastischen Erzählungen, die als Satiren zu werten sind. Da hielt er der damaligen Zeit und ihren Größen den Spiegel vors Gesicht, entäußerte sie durch groteske Darstellungen ihrer zur Schau getragene Erhabenheit und enthüllte sie vielfach als kleine, eitle, aufgeblasene Menschen. Dieser Geschichtenerzähler hat in Wesel längere Zeit geweilt und die Weseler Verhältnisse eingehend kennen gelernt. Auch hier hat er es nicht unterlassen können, seinen Spott auszugießen und groteske Geschichten zu erzählen und zu schreiben, die an besondere Vorkommnisse in der Garnison anknüpften, diese bis zur Verzerrung entstellten und bei den damaligen Weseler Zeitgenossen, die die eigentlichen Vorgänge und den Hintergrund der Erzählungen kannten, dröhnendes Gelächter auslösten. Da ist besonders die oben angeführte Geschichte zu erwähnen. (Heck, Peitsch, S. 125)

Das heutige "Kulturzentrum Zitadelle" An der Zitadelle beherbergt das Preußen-Museum NRW, das Städtische Museum Abteilung Schillkasematte, das Stadtarchiv mit Restaurierungswerkstatt sowie die Musik- und Kunstschule.

Multimedia

Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.



Literaturnachweis

  • Karl Heck, Heinrich Peitsch, Es geht eine alte Sage, Sagen, Legenden und Erzählungen vom unteren Niederrhein, Wesel 1967, S. 126f. (nach: Heimatspiegel)


Hier finden Sie: »Kulturzentrum Zitadelle« (51.651246° Breite, 6.614381° Länge)

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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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