Siegfried von Xanten, der Drachentöter

Aus Sagenhaftes Ruhrgebiet

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Siegfried bezwingt den Drachen

Siegmund, ein niederländischer Fürst, bewohnte mit seiner Gemahlin das Schloss zu Xanten. Sie hatten einen Sohn Siegfried, dessen Körperkräfte schon früh sich außerordentlich entwickelten, nicht minder aber auch sein trotziger, unbändiger Sinn, der aller Lehren und Ermahnungen spottete. Kaum elf Jahre alt, fand der rüstige Knabe die einförmige Stille auf seines Vaters Schloss unerträglich. Er entfloh daher eines Tages, um in der Welt umherschweifend Abenteuer zu suchen. Er wanderte den Rhein hinauf und traf da am Fuße des Siebengebirges den berühmten Waffenschmied Mimir, dessen Beschäftigung ihm so wohl gefiel, dass er beschloss, bei ihm in die Lehre zu gehen, um sich selbst seine Streitwaffen zu verfertigen.

Mimirs Gesellen mussten bald die Kampfeslust Siegfrieds empfinden. Nicht selten warf er sie in den Sand oder verbläute sie tüchtig. Als Schmied war er indes nicht zu gebrauchen, denn er zerhieb alle Eisenstangen und trieb durch gewaltige Schläge den Amboss in den Boden. Der Meister, um den wüsten Recken loszuwerden, schickte ihn eines Tages zum Kohlenbrenner in den Forst, und zwar nach einer Gegend hin, wo ein fürchterlicher Drachen hauste. Dieser Drache, der für seine Gräueltaten verwandelte Riese Fafnir, bewahrte einen ungeheuren Schatz an Gold, Perlen und Edelsteinen, den man zu gewissen Zeiten in den Klüften eines hohlen Berges schimmern sehen konnte.

Siegfried zündete an Ort und Stelle einen mächtigen Kohlenmeiler an, und eben hatte er ihn in gewaltige Glut gesetzt, als der Lindwurm mit aufgesperrtem Rachen dahergeschossen kam, den neuen Kohlenbrenner mit Haut und Haaren zu verschlingen. »Ho, ho!« rief Siegfried, »das gibt ein Abenteuer! Hier heißt es, sich seiner Haut gewehrt!« Und aus dem Feuer zog er einen Eichbaum, dessen brennendes Ende er dem Ungetüm in den Rachen stieß, gleich wie man einen Eber anlaufen lässt. Von Schmerz zur grimmigsten Wut gestachelt, wälzte sich der Lindwurm auf dem Boden, und mit seinem ungeheuren Schweif suchte er Siegfried niederzuschmettern. Dieser aber versetzte ihm gewaltige Schläge und wusste geschickt auszuweichen, und, einen günstigen Augenblick erspähend, hieb er ihm den Kopf ab. Den Wanst warf er ins Feuer. Aber mit Verwunderung sah er daraus einen großen Strom von Fett hervorquellen, der zu seinen Füßen eine Lache bildete. Dabei sang ein Vogel über seinem Haupt:

Du sollst in Drachenfett dich baden,
Dass dir kein feindlich Schmach kann schaden,
Und deine Haut für jeden Streit
Werd` hornumpanzert und gefeit.

Siegfried setzte gleich die erhaltene Weisung in die Tat um. Entkleidet warf er sich in das Fett, und dies salbte ihn an allen Gliedmaßen, mit Ausnahme eines Flecks an der rechten Schulter, der durch ein vom Baum gefallenes Blatt zufällig bedeckt gewesen. Mit dem Kopf des erlegten Ungeheuers ging nun der so Gefeite in die Schmiede zurück. Hier erschlug er den heimtückischen Mimir, und nachdem er sich ein trefflich Schwert wie auch eine glänzende Rüstung ausgewählt und aus dem Stall das beste Pferd, den Renner Grani, gesattelt, zog er, nach neuen Abenteuern begierig, von dannen. Nachdem er lange den Rhein hinauf und immer weiter nach Süden gezogen, gelangte er ans Meer und setzte sich zu Schiffe. Der Sturm jagte ihn an eine felsige, steile Küste. Sein flinkes Pferd erklomm diese, und es brachte ihn in die Nähe eines verzauberten Schlosses, das in hell lodernden Flammen stand. Der junge Held war unschlüssig , was hier zu tun sei. Da sang der Vogel, der ihm schon einmal eine Lehre gegeben, mit heller Stimme:

Nur vorwärts, frisch, mit festem Mut,
Und sprenge in des Feuers Glut!
Die schönste Maid gewinnst du dann,
Und lösest dieses Zaubers Bann.

Er spornte sein Pferd an, aber es sperrte und bäumte sich, und Siegfried selbst erstickte fast an der schrecklichen Lohe. Doch zwang er das widerspenstige Tier – ein mächtiger Satz führte ihn mitten in die Flammen und augenblicklich erlosch das Feuer. Das Schloss zeigte sich jetzt in seiner ganzen, unversehrten Pracht. Die Tore sprangen auf, und Siegfried säumte nicht einzutreten und das Innere zu besehen. Voller Verwunderung betrachtete er die prächtigen Gemächer, in denen Grabesstille herrschte. Aber noch mehr erstaunte er, die Bewohner regungslos und scheinbar schlafend, in derjenigen Stellung anzutreffen, die sie ohne Zweifel im Augenblick der Verzauberung hatten. Die Köchin stand am Herd, der Reitknecht hielt sich bei den Pferden auf, und die Tiere selbst standen leblos an den Krippen in den Ställen. Als Siegfried in den Burgsaal trat, entfuhr ihm ein Laut der höchsten Verwunderung. Denn da lag auf einem Ruhebett hingegossen, mit unendlichen Liebreiz geschmückt, von königlichen Glanze umgeben, aber mit ehernen Banden gefesselt, die, die sein Herz für die Verheißene erkannte. Eilig zerschnitt er die Bande, dann drückte er ihr einen Kuss auf die rosigen Lippen. Dieser Kuss war das Zeichen der Erlösung aus hundertjährigem Zauber. Brunhilde, so hieß die Schöne, schlug die Augen auf, dankte ihrem Retter, den sie zu seinem nicht geringen Erstaunen beim Namen nannte, und gelobte, sein Eigen zu sein. Alles im Schloß war im selben Augenblick entzaubert und regte sich, als ob es nie in Erstarrung gewesen. Siegfried hoffte auf den süßen Lohn der Minne. Aber Brunhilde wusste ihn durch den Zauber der Liebe hinzuhalten, zu stolz als dass sie sich einem Mann ganz zu Eigen geben wollte. So vermochte sie ihn lange zu fesseln, bis endlich sein nie rastender Geist dieses tatenlose Sehnen nicht länger ertrug und sein Drang nach Abenteuern in ihm erwachte. Besonders der Vogel stachelte diesen Drang an. Er hörte nicht auf, vor den Fenstern zu singen vom Hort im Nibelungenlande, von großen Taten, die noch zu vollbringen, und von schönen Frauen, deren Minne noch zu erwerben. So fasste denn eines Tages der Held den Entschluss fortzuziehen, waffnete sich mit aller Standhaftigkeit gegen Brunhildes Lockungen, und wie ein Dieb in der Nacht verließ er heimlich das Zauberschloss samt allem, was es Reizendes und Verführerisches enthielt. Sein Führer war der wunderbare Vogel. Nach Norden gewendet, flog er immer vor ihm her, von Zweig zu Zweig, von Haus zu Haus, und lauschte in schattiger Kühle der Jüngling des Vogels Tönen, so klang es :

Im Norden liegt, noch unbekannt,
Der Nibelungen schönes Land.
Da lebt ein tückisch Volk von Zwergen,
Die einen großen Schatz verbergen,
Für dich von ungeheurem Wert,
Ein Käppchen und ein Zauberpferd.
Unsichtbar macht das erst`re dich,
Das Schwert den Feinden fürchterlich.

Kein Wunder, dass Siegfried nach so trefflichen Dingen lüstern war, und dass er seine Reise mit größter Eile fortsetzte. Nach langer Fahrt erreichte er auch endlich das Nibelungenland, und als er müde sich da auf dem Boden ausstreckte, umringte ihn eine Schar von Zwergen, die ihn voller Verwunderung betrachteten und dann zu ihrem Gefangenen machen wollten. Der Jüngling wehrte sich aber, so gut er konnte, band ihren Anführer Alberich selbst mit dessen langen Haaren und zwang ihn aufzuzeigen, wo Schwert und Kappe verborgen waren. Doch diese Zaubergabe zu erlangen, war keineswegs einfach. Erst musste Siegfried den grimmigen Riesen Wolfgrambär überwältigen, der ein unterirdisches Schloss bewachte, den Zwerg Alberich, der ihn verraten wollte, noch mal züchtigen bis dieser ihm die Stelle zeigte, wo die Tarnkappe verborgen war, und endlich musste Wolfgrambär dem Helden, der ihn gut gefesselt hatte, das Schwert Balmung übergeben. Nachdem dies alles geschehen war, gab Siegfried seinen Feinden die Freiheit wieder. Nachdem er also sein Ziel erreicht und in diesem Lande ebenfalls einen Drachen erschlagen hatte, der der Hüter eines großen Schatzes war, befiel den Helden das Heimweh, und er machte sich auf den Rückweg zu seinem väterlichen Schloss. Nach mondenlanger Reise langte er dort auch an, zur größten Freude seiner Eltern, denen er seine wunderbaren Abenteuer erzählte.


Multimedia

Gelesen von Gisela Schnelle-Parker, Aufnahme und Bearbeitung von Robin Parker.



Literaturnachweis

  • Hans-Jörg Uther, Sagen aus dem Rheinland, München 1994, S. 38-43 (nach: Franz Josef Kiefer, Die Sagen des Rheinlandes, Köln 1845, S. 17-22)




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Diese Sage ist in den bisher erschienen Werken von Dirk Sondermann nicht enthalten. Von ihm erschienen die Bücher Ruhrsagen, Emschersagen, Bochumer Sagenbuch, Wattenscheider Sagenbuch und Hattinger Sagenbuch. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Bitte beachten Sie auch unsere Veranstaltungshinweise.


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